Purpurdämmern (German Edition)
er den Blick und bemerkte Santino. Er ließ den Schraubenschlüssel fallen, packte das Gewehr mit beiden Händen und riss es hoch.
»Guten Tag!«, rief ihm Santino entgegen.
»Verschwindet!« Der Mann lud die Waffe durch. Krack-krack. Ein Furcht einflößendes Geräusch. »Und sagt dem Katzenvieh, es soll sich hinter den Zaun scheren, sonst befördere ich es mit einem Tritt nach draußen.«
Miau,
machte Nessa. So lieb, dass es Marielle im Nacken kribbelte vor Misstrauen. Mit wachsender Fassungslosigkeit starrte sie dem Kerl in die pockennarbige Visage. Sollte das Rupertin Hufschwinge sein? Unmöglich. Vielleicht ein Gehilfe, ein anderer Fahrer. Das hier war eine echte Handelsniederlassung von van Erlen. Die hatten sicher Angestellte.
»Du hast mich schon verstanden«, knurrte der Kerl die Purpurkatze an. Nessa wackelte mit den Ohren und gab sich gewaltige Mühe, niedlich auszusehen.
»Was machst du?«, flüsterte Marielle. »Komm wieder her!«
»Wir brauchen eine Passage über die Brücke«, sagte Santino.
»Was wollt ihr dann hier? Die Brücke ist da drüben! Haut ab. Verpisst euch!« Die Schrotflinte ruckte ein Stück aufwärts.
»Die Brücke ist voller Gespinstgeister.«
»Ah, ja?« Der Kerl entblößte fleckige Zähne. »Was geht’s mich an?
Ihr
wollt hinüber, nicht ich.«
Sein Blick ruhte auf dem Magier. Nessa kroch vorwärts, ganz langsam, bis sie hinter einem Stapel aus Ziegelsteinen und bemoosten Brettern verschwand.
»Bist du Rupertin?«
»Und wenn’s so wäre?«
»Dann könntest du uns auf die andere Seite bringen. Wir bezahlen auch.«
»Hm.« Ein lauernder Ausdruck trat in seine Schweinsäuglein. »Steht das Mädchen da zum Verkauf? Wenn Ihr sie mir gebt, dann bringe ich Euch nicht nur auf die andere Seite – das nützt Euch nämlich nicht viel – sondern an euer wirkliches Ziel.«
Empörung schoss in Marielles Kehle. Hatte der sie noch alle?! Trug sie ein Siegel auf der Stirn, auf dem »Ware« stand? Erst Grünauge, der sich einbildete, sie für Lösegeld verkaufen zu können, dann der Echo-Sucher mit seiner seltsamen Forderung nach einem Kuss, und jetzt dieser hässliche Höhlenmensch, der nie im Leben Rupertin sein konnte.
In der Lücke zwischen Ziegelstapel und Truck leuchtete Nessas purpurnes Fell auf.
»Moment«, der Kopf des Mannes zuckte herum, »wo ist das Mistvieh hin?«
Santino hob die Hand mit dem Armreif und machte etwas mit seinen Fingern. Die Luft flimmerte. Das Tor gab einen gequälten Laut von sich. Mit einem Schrei ließ der Mann die Schrotflinte fallen. Noch während sie zu Boden polterte, verflüssigte sich der Lauf. Das Metall glühte und wie in Zeitlupe sackten die Gitterstäbe des Tors zusammen, zu weich, um ihr eigenes Gewicht zu tragen.
Santino ballte die Hand zur Faust. »Sarrakhans Gnade«, hörte sie ihn fluchen, und dann noch etwas, bei dem Amalia erbleicht wäre. »Das Mädchen steht nicht zum Verkauf. Aber ich bezahle mit Gold. Oder Níval-Kristallen. Ganz wie du willst.«
»Níval-Kristalle?« Der Kerl rieb sich die verbrannten Finger. »Das wird verflucht noch mal nicht reichen.« Er deutete zum Himmel. »Seht ihr das da oben? Habt ihr die Hunde gehört? Es dauert nicht mehr lange, dann bricht hier alles zusammen. Ihr seid nicht von hier, das kann ich sehen. Und ich garantiere Euch, Ihr wollt hier nicht festsitzen, wenn die Kjer durchbrechen.«
Wovon, zur Eiseskälte, redete der Mann? Ebenso wie Aan’aawenh wusste er etwas über die grünen Risse und ging davon aus, dass Santino ebenfalls wusste, worum es ging. Das machte sie fast noch wütender als die Tatsache, dass der Kerl sie tatsächlich kaufen wollte. Auf jeden Fall bestärkte es sie in ihrer Überzeugung, dass sie den Buchstabensammler finden musste. Er würde ihr das Mysterium der Risse erklären.
»Ich könnte mir einfach den Truck da nehmen«, sagte der Magier, »und es gibt nichts, das Ihr dagegen tun könnt.«
»Dann setzt die van Erlen-Gesellschaft ein Kopfgeld auf Euch aus. Das wagt Ihr nicht.«
»Jetzt, wo Ihr es sagt.« Santino lächelte verkniffen. »Also muss ich Euch wohl töten. Man wird glauben, lokale Banditen hätten es getan.«
Ich wusste es!,
fauchte Nessa in ihrem Kopf.
Ich wusste es, ich wusste es!
»Was?« Marielle warf einen Blick zu Ken, der das Geplänkel zwischen Santino und dem Händler mit steinerner Miene verfolgte.
»Ihr seht also«, schloss der Magier in fröhlichem Tonfall, »dass es von Vorteil für Euch wäre, uns zu helfen.«
Sarrakhans verlauster
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