Purpurfalter
hinab und zog dann seine Hand zurück. Wor befahl seinem Pferd in Richtung Tor zu traben. Mit einem majestätischen Wink deutete er seinem Heer, ihm zu folgen. Den Vampiren schenkte er keinerlei Beachtung. Der Heerbläser blies das Horn erneut. Loreena schaute dem Tross stumm hinterher, während die Bewohner der Festung den Kriegern zujubelten. Mägde winkten den Männern mit Tüchern zu. Diener und Knappen liefen neben dem Trupp her.
Der Regen nahm zu. Wie ein Vorhang schob er sich vor die Szenerie. Windböen fegten durch den Innenhof und peitschten das Nass in die Gesichter von Mensch und Vampir.
Loreena sah, wie Mogall zu Wor aufschloss. Der Rest der Vampire verteilte sich auf die Mitte und das Ende der Kolonne. Dann konnte Loreena nur noch die Nachhut sehen und begann sich schlecht zu fühlen. Nun war ihr Vater nicht nur seiner Wandlung ausgeliefert, sondern auch der Armee Valkenhorsts. Die Hufschläge der letzten Pferde verhallten. Selbst das Prasseln des Regens ebbte erneut zu Nieselregen ab. Eine unangenehme Ruhe kehrte im Innenhof ein - gespenstisch, beunruhigend und ungewiss.
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Mit einem Gefühl von Verlust und Leere zog sich Loreena zurück in ihr Gemach. Es war bereits Mitternacht. Die zurückgebliebenen Bewohner Tides würden in ihre Betten fallen und den Schlaf der Gerechten schlafen.
Loreena warf ihren Mantel auf das Bett. In Gedanken versunken trat sie ans Fenster. In ihrem Zimmer war es stockdunkel und so musste sie keine Angst haben, man könnte vom Innenhof her ihre unstandesgemäße Kleidung erkennen.
Niemand überquerte den Hof der Festung. Lediglich die Wachen auf den Mauern beobachteten mit Argusaugen, ob sich etwas in den Straßen der Hauptstadt bewegte oder sich jemand im nahen Wald herumtrieb.
Nachdenklich legte sie sich aufs Bett. Ihr Blick war an die Zimmerdecke gerichtet, aber vor ihrem inneren Auge sah sie König Wor, wie er mit seinen Kriegern und der verhassten Blutsauger-Armee gen Frostlande ritt. Eilig würde der Tross in den Wald Goblin eintauchen, sich vorsichtig der Grenze nähern, um dort sein Lager aufzuschlagen. Loreena malte sich in Gedanken aus, wie ihr Vater Späher aussandte, die einen geeigneten Übergang auskundschafteten, während der Rest des Heers vor dem großen Angriff ruhte. Und die Armee Valkenhorsts? Welche Rolle spielten sie?
Unruhig setzte sich Loreena auf. Noch musste sie warten. Noch durfte sie dem vehementen Drang, ihrem Vater zu folgen, nicht nachgeben.
Sie streckte ihre Hand aus und betrachtete sie. Ihre Finger zitterten. „Was plane ich da nur? Ich muss verrückt sein.“ Kopfschüttelnd knetete sie ihre Finger. „Ich widersetze mich nicht nur König Wor, sondern auch den Anweisungen Graf Schomuls.“ Was würde ihr Vater sagen, wenn sie ins Lager vor der Grenze Frostlandes einritt? Welche Konsequenzen für Ingrimm beschwor sie herauf? Wie würde Graf Schomul reagieren, wenn sie auf die Festung Tide zurückkehrte?“
Loreena erhob sich. Auf leisen Sohlen schlich sie zur Waschschüssel und goss Wasser aus einem Tonkrug hinein. Mit den Händen schaufelte sie erfrischendes Nass in ihr Gesicht. Seufzend richtete sie sich auf, ohne das Wasser abzutrocknen.
Sie betrachtete sich im Spiegel. „Wenn du jetzt nicht gehst, gehst du überhaupt nicht.“
Sie ignorierte die Tatsache, dass es zu früh war, um dem Heer Ingrimms zu folgen. Aber Loreena hielt es in den Mauern der Festung nicht länger aus. Ihr Vater hatte schlecht ausgesehen, als er Tide verließ. Sie musste ihm zur Seite stehen!
„Fahr zur Hölle, Schomul!“ Loreena drehte sich von ihrem Spiegelbild weg. Mit zittrigen Beinen ging sie zum Bett, zog den Mantel an und lief zur Tür. Loreena öffnete sie einen Spalt und spähte hinaus. Niemand war im Korridor zu sehen. Sie griff noch die Satteltasche, die neben der Tür lag, bevor sie in den Flur hinausging. Mit dem Rücken zur Wand schlich sie durch die Gänge. Die spärliche Beleuchtung kam ihr gelegen. Die Diener hatten die meisten Fackeln gelöscht. Totenstille umgab Loreena. Sie huschte die Treppenstufen hinunter und lugte um die Ecke. Bevor sie den Gebäudetrakt verließ, in dem sich die Gemächer befanden, zog sie ihre Kapuze über. Sie schaute sich hastig um, während sie über den Innenhof zu den Stallungen lief. Loreena sattelte ihren Schimmel und befestigte die Satteltaschen, in die sie alles Notwendige eingepackt hatte. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Vater. Schwer atmend führte sie ihr Pferd an den Gebäudewänden
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