Purpurschatten
geschieden.«
»Tut mir leid«, sagte Brodka.
»Das braucht Ihnen nicht leid zu tun. Im Gegenteil. Es gibt größere Katastrophen, als sich scheiden zu lassen. Heiraten zum Beispiel. Man sollte gesetzlich verbieten, daß Menschen unter dreißig heiraten.«
Juliette lachte. »Da kann ich Ihnen nur recht geben.«
»Ach. Wohl auch schlechte Erfahrungen gemacht?«
»Sehr schlechte.«
Mirandolina nahm Juliette am Arm. Mit der Linken machte sie eine ausladende Handbewegung über das Tal. »Von meinen Eltern hatte ich hier im Ort ein Dutzend Landhäuser und Weingüter geerbt, dazu einen Palazzo in Rom. Wissen Sie, was mir von all dem Reichtum geblieben ist? Das hier.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Boden. »Und eine Wohnung in der Stadt. Jetzt muß ich im Sommer das Haus vermieten. Es stört Sie doch nicht, daß ich unter dem Dach ein kleines Apartment mit separatem Eingang bewohne?«
»Aber nein«, beteuerte Brodka.
Mirandolina zeigte ihren Gästen das Haus. Das dunkle, schwere Mobiliar aus dem 19. Jahrhundert wirkte ziemlich abgewohnt; dafür machte das Schlafzimmer im ersten Stock einen hellen und freundlichen Eindruck; vor allem aber fühlten sie sich hier in Sicherheit vor ihren Verfolgern. Und das war zunächst einmal das Wichtigste.
Die Comtessa hatte ihnen ein Ristorante empfohlen, keine zehn Minuten von ihrem Haus entfernt. Es trug den Namen › Specchio di Diana‹ und hatte seiner heimischen Weine und der außergewöhnlichen Küche wegen schon Goethe und Lord Byron anerkennende Worte entlockt. Gäste, die dem Besitzer, einem graumelierten Padrone, sympathisch waren, durften sogar einen Blick in die alten Gästebücher mit den Namenszügen der Berühmtheiten werfen.
Zu ebener Erde war an diesem Abend jeder Platz besetzt, doch im ersten Stock fanden Brodka und Juliette einen freien Tisch, an dem sie sich, abseits vom Lärm, unterhalten konnten. Es galt, ihre Situation neu zu überdenken.
Sie wußten nun, daß Kardinalstaatssekretär Smolenski der Kopf einer geheimen Organisation war, die mit dem frommen Ort, von dem aus sie gesteuert wurde, nichts gemein hatte. Aber welche Macht ging von diesem Menschen aus?
Die Lösung, oder zumindest der Weg zu einer Lösung, war offensichtlich auf einer der Kassetten verborgen, auf ein läppisches, drei Millimeter breites Tonband magnetisiert. Anders war der plötzliche Meinungsumschwung der Gangster nicht zu erklären. Und solange weder Smolenski noch Fasolino oder ihre Helfershelfer wußten, wo die Kassetten sich befanden, bedeuteten diese winzigen Tondokumente für Juliette und Brodka soviel wie eine Lebensversicherung.
»Findest du nicht auch?« fragte Brodka, nachdem er Juliette diese Überlegungen nahegebracht hatte.
Juliette schien weit weg mit ihren Gedanken. Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
Juliette lächelte müde. »Entschuldige, aber es ist gleich Mitternacht, und der Tag war verdammt anstrengend.«
Brodka zeigte sich einsichtig. »Schon gut, mein Liebes.« Er winkte den Ober herbei und beglich die Rechnung.
Weinselig und mit schweren Beinen strebten sie ihrem neuen Zuhause zu.
Kurz nach Sonnenaufgang verließ Großpönitentiar Kardinal William Sherman den Palazzo della Cancelleria in einem dunkelblauen Volvo. Am Steuer saß sein Chauffeur und Diener Padre Johannes, genannt ›Jonny‹.
In schneller Fahrt erreichte der Wagen die Vatikanstadt. Die Schweizergardisten am Portone di Bronzo salutierten schneidig. Sherman, Chef der vatikanischen Behörde für Ablässe, war kein Unbekannter, wenngleich sein Amtssitz außerhalb der Mauern lag und seine Behörde nur zehn Leute beschäftigte.
Sherman machte große Schritte und nahm jeweils zwei von den breiten Stufen. Er war sechzig – für einen Kardinal der Kurie ein beinahe jugendliches Alter. Selbst ein Kurienkardinal, der nicht täglich hier verkehrte, hatte Schwierigkeiten, sich in den Korridoren und Treppenhäusern zurechtzufinden. Schließlich erreichte Sherman sein Ziel, die Sixtinische Kapelle.
In der Sixtina die Frühmesse lesen zu dürfen galt als besondere Auszeichnung, selbst für einen Kardinal. Sherman hatte nur deshalb diese Ehre erlangt, weil der für den heutigen Mittwoch vorgesehene Geistliche, Kardinalstaatssekretär Smolenski, am Abend zuvor ein Unwohlsein vermeldet und die Messe zur Disposition gestellt hatte. Den Grund für seine Unpäßlichkeit – übermäßiger Genuß billigen Rotweins und ebensolcher Zigarren – hatte Smolenski
Weitere Kostenlose Bücher