Purpurschatten
Monat.
»Und die Adresse?« erkundigte sich Brodka.
» Viale Vespucci 9 in Nemi . Die Comtessa heißt Mirandolina Maffei. Sie erwartet Sie ab achtzehn Uhr.«
Brodka bedankte sich bei Marco und reservierte telefonisch einen Leihwagen am Flughafen Fiumicino; dann packten sie ihre Sachen und machten sich reisefertig.
Am Flughafen verlief alles wie geplant. Kurz nachdem Flug Alitalia AZ 434 aufgerufen wurde, verließen Brodka und Juliette den Warteraum und begaben sich zu einer Toilette in der Nähe, um ihre Kleidung zu wechseln.
Dann trennten sich ihre Wege. Juliette suchte mit dem Paket, das ihre Bilder enthielt, den ›Avis‹-Schalter auf um den Leihwagen zu übernehmen, während Brodka das Gebäude durch die Ankunfthalle verließ, um es durch die Abflughalle wieder zu betreten. In sicherer Entfernung von den Schließfächern im Untergeschoß legte er sich auf die Lauer, stets das Fach im Auge, in dem er eine Packung Kleenex verstaut hatte – etwas anderes hatte er im Albergo Waterloo in der Eile nicht gefunden.
Nachdem fünfzehn Minuten verstrichen waren, ohne daß etwas geschah, wurde Brodka unruhig. Er hatte sich mit Juliette in genau 30 Minuten vor der Ankunfthalle verabredet. Dort sollte sie im Leihwagen auf ihn warten.
Kurz vor Ablauf der Zeit näherte sich ein Mann dem Schließfach, blickte unauffällig nach allen Seiten und zog den Schlüssel aus dem Briefumschlag, den Brodka selbst am Informationsstand der Alitalia hinterlegt hatte.
Brodka traute seinen Augen nicht. Der Mann mit der Halbglatze und dem rötlich schimmernden Gesicht war – Titus.
Im ersten Augenblick hätte Brodka sich vor Wut am liebsten auf den Kerl gestürzt; dann aber siegte die Vernunft, und er genoß den Anblick eines Mannes, der ein Paket Kleenex aus dem Schließfach nahm und wie von Furien gehetzt zum Ausgang eilte.
Nemi ist ein bezaubernder Ort, am Rande eines vulkanischen Kraters gelegen, auf dessen Grund sich ein tiefer, ovaler See gebildet hat; an den Hängen wächst süßer, schwerer Wein. In der Mitte des Ortes steht ein alter Palast, umgeben von schmucken, bunten Wohnhäusern und Trattorien. Seit alters bauten reiche Römer in den Albaner Bergen ihre Sommerhäuser, um der Hitze zu entfliehen, die zwischen Juni und September die Hauptstadt heimsucht.
Ein Zitronenverkäufer, den Brodka und Juliette am Ortseingang nach dem Weg fragten, zuckte zunächst mit den Schultern, hatte nach Abnahme einer größeren Menge Zitronen aber plötzlich eine Erleuchtung und beschrieb den Weg so genau, daß sie die angegebene Adresse, Viale Vespucci 9, auf Anhieb fanden.
Das alte Haus war kürbisgelb gestrichen und lag hinter einem eisernen Tor am Fuße eines Weinberges, der unweit des Hauses steil anstieg. Auf ihr Klingeln öffnete sich das Tor automatisch, und Brodka lenkte den Leihwagen bis vor die zweiflügelige Haustür.
Als Brodka aus dem Wagen stieg, schallte ihm das tausendstimmige Zirpen der Zikaden entgegen. In der Luft lag ein süßlicher Geruch.
Nun hat wohl jeder eine andere Vorstellung von einer leibhaftigen Comtessa. Die Dame, die aus der Tür trat, um die Ankömmlinge zu begrüßen, trug hautenge Jeans, eine weite, weiße Blazerjacke und hochhackige Sandaletten, die ihre Körpergröße von gut 180 Zentimetern noch hervorhoben. Ihr kupferrotes Haar war kurzgeschnitten und ihre Stimme rauchig wie bei vielen Italienerinnen.
Die Comtessa sprach sogar deutsch, was sie, wie sie betonte, einst in jungen Jahren auf dem Lyzeum gelernt habe.
So lange, überlegte Brodka, dürfte das nun auch wieder nicht her sein. Er schätzte ihr Alter auf etwa dreißig.
»Nennen Sie mich einfach Mirandolina«, meinte die Frau, als Brodka sie mit ›Comtessa‹ anredete, und mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Meine Freunde nennen mich Dolly. Wie lange wollen Sie bleiben?«
»Vier Wochen«, erwiderte Brodka. »Wir zahlen im voraus. Ist Ihnen das recht?«
Und um peinlichen Fragen zu entgehen, fügte Juliette hinzu: »Wir haben beide beruflich in Rom zu tun, müssen Sie wissen. Ich bin Kunsthändlerin, und mein Mann ist Journalist. Sie haben ein wundervolles Haus.«
Die Comtessa verzog das Gesicht. »Ich war mit einem persischen Teppichhändler verheiratet. Er hat mein ganzes Vermögen durchgebracht. Naja, beinahe mein ganzes Vermögen. Ein bißchen ist schon noch geblieben, wenn auch nicht viel. Wie ich hörte, lebt er noch immer ganz gut von dem, was er sich hier beiseite geschafft hat. Wir sind seit drei Jahren
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