Purpurschatten
hätte Lobello ihm soeben den eigenen Tod angekündigt. Dann, ganz plötzlich, begann der schwergewichtige Mann, der noch immer den weißen Chorrock trug, zu zittern. Sein ganzer Körper bebte; er schlug ein flüchtiges Kreuzzeichen und rief, daß es durch die Kapelle hallte: »Bei allen Heiligen, ich habe mit der Sache nichts zu tun. Glauben Sie mir, Professore !«
Lobello legte einen Finger auf die Lippen und mahnte den Padre zur Besonnenheit. »Wo ist die Flasche mit dem Meßwein?«
Fernando Cordes, der kein Wort hervorbrachte, deutete auf die Seitentür.
Lobello nahm den Kelch und die Karaffe, und gemeinsam betraten sie den kleinen Raum. Ein großer barocker Schrank nahm eine ganze Wand ein. Ihm gegenüber stand eine ebenso alte, breite Kredenz mit mehreren Türen. Linker Hand befand sich ein Waschbecken.
In dieses Waschbecken goß der Professore den Inhalt der Karaffe; dann spülte er das Glasgefäß und den Kelch mit Wasser aus.
»Den Meßwein!« herrschte er den Padre an, der verständnislos beobachtete, was vor sich ging.
Padre Fernando öffnete eine Tür der Kredenz und reichte dem Professore die Flasche.
Der schnupperte vorsichtig und aus einiger Entfernung an der Flaschenöffnung; dann drehte er den Wasserhahn auf und leerte den Inhalt der Flasche in den Ausguß.
»Öffnen Sie das Fenster!« rief er mit gedämpfter Stimme. »Schnell!«
Padre Fernando kam der Aufforderung nach.
Schließlich zog Lobello sich die Ärmel hoch. Während er sich gründlich die Hände wusch, sagte er zu Padre Fernando, ohne diesen anzuschauen: »Hören Sie gut zu, was ich Ihnen jetzt sage. Kardinal Sherman ist an einer Herzinsuffizienz gestorben, Herzinfarkt, Sie verstehen?«
»Nein«, antwortete Fernando kleinlaut. »Es war doch Blausäure, sagten Sie, Professore .«
Lobello verdrehte die Augen und blies unwillig die Luft durch die Nase. Dann wiederholte er das Gesagte; nur klang seine Stimme diesmal lauter und drohend: »Kardinal Sherman ist an einem Herzinfarkt gestorben. Diese Todesursache werde ich auf den Totenschein eintragen.«
»Aber …«
Dem Professore platzte der Kragen. »Herrgott, wo leben Sie eigentlich? Begreifen Sie denn nicht, daß ein Kardinal der Kurie keinem Mordanschlag zum Opfer fallen darf? Jawohl, es war Mord. Ein Giftmord! Aber davon wird nie jemand erfahren. In diesen Mauern starben schon zu viele Menschen durch Mord.«
Padre Fernando blickte betroffen. Wie konnte ein rechtschaffener Professore nur so daherreden? »Herzinfarkt«, wiederholte er und nickte heftig mit dem Kopf, als hätte er endlich begriffen, was Lobello meinte.
»Lassen Sie mich einen Augenblick allein«, meinte der Professore , und Cordes verließ den Raum durch die Hintertür.
An der Wand neben dem Waschbecken hing ein Telefon. Lobello wählte eine Nummer.
Die Leiche des Großpönitentiars lag noch immer auf dem Marmorboden der Sixtinischen Kapelle, als Kardinalstaatssekretär Smolenski am Ort des Geschehens eintraf. Smolenskis Gesicht war fahlweiß wie ein verwaschenes Altartuch.
Lobello begrüßte Smolenski mit einem devoten Knicks und dem Versuch, dessen Ring zu küssen, wie es bei einem Kardinal üblich und Smolenski genehm war; aber es blieb bei dem Versuch, denn der bleiche Würdenträger hatte seinen Ring aus unerfindlichen Gründen vergessen.
Als der Professore die Kasel anhob, die der verblichene Kardinal zuvor getragen hatte und mit der nun die Leiche zugedeckt war, überkam Smolenski ein Würgen, und er preßte die Hand vor den Mund. Das Gesicht des toten Großpönitentiars hatte eine leicht bläuliche Farbe angenommen; das Schlimmste aber waren die weit aufgerissenen Augen und sein in den Nacken geworfener Kopf, der das spitze Kinn hervorstehen ließ wie einen Faustkeil. Es schien, als hätten Shermans Augen noch während des Sturzes das Fresko des Jüngsten Gerichts gesucht.
Smolenski wandte sich ab, und Lobello drückte dem toten Kardinal mit beiden Daumen die Augenlider zu. Dann bedeckte er Sherman erneut mit dem Meßgewand.
Zögernd fragte Smolenski: »Haben Sie alles Nötige veranlaßt, Professore ?«
Lobello nickte und musterte das Gesicht des Kardinalstaatssekretärs. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sie sehen gar nicht gut aus, Eminenza.«
Der Kardinalstaatssekretär wandte sich ab, als wollte er sein Gesicht vor dem Professore verbergen. »Es geht mir auch nicht besonders gut«, erwiderte er, ohne Lobello anzuschauen. »Um die Wahrheit zu sagen, ist mir sogar
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