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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Gebäuden hoch und entdeckte hinter einigen Fenstern neugierige Gesichter, die jedoch verschwanden, sobald ihre Blicke sich begegneten.
    Ein alter, ausgemergelter Mönch auf Krücken kam langsam näher. Er gesellte sich zu den Neuankömmlingen, um dem Gespräch zu lauschen, das jedoch abrupt endete.
    »Bruder«, sagte der Buckelige von unten an den Mönch mit den Krücken gewandt, »kennst du einen Mitbruder namens Theodorus?«
    »Theodorus?« Der Gefragte hob eine Krücke und zeigte mit verlängertem Arm auf das gegenüberliegende Gebäude, dessen Fensterläden zum größten Teil geschlossen waren. »Der Verrückte«, geiferte er mit hoher Stimme, »da drüben im ersten Stock. Ein junger Kerl, aber leider nicht ganz richtig im Kopf.« Und schon humpelte er weiter.
    »Ich würde da aber nicht hingehen«, bemerkte der Buckelige und spuckte auf den Boden, als ob er Ekel empfände.
    »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?« Brodka sah den Mann im Overall verwundert an.
    »Da sind die Kranken und Siechen. Ich würde da nicht hingehen.«
    Brodka überlegte, ob er die Warnung ernst nehmen sollte. Doch ihr Eindringen konnte jeden Augenblick entdeckt werden; deshalb entschloß er sich, das Gebäude zu betreten und Theodorus zu suchen.
    »Ich gehe«, sagte er zu Sydow. »Sie können ja hier bleiben.«
    »Unsinn«, meinte Sydow. »Natürlich komme ich mit.«
    Kopfschüttelnd verschwand der Buckelige mit seiner Werkzeugkiste.
    Im Inneren des Hauses herrschten Finsternis und Kühle. Die Holztreppe zum oberen Stockwerk war abgetreten und sandig und knarzte bei jedem Schritt.
    »Merkwürdig«, meinte Brodka, während sie hinaufstiegen, »ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt. Ich dachte, die würden uns nur widerwillig reinlassen. Dabei stehen alle Türen offen.«
    Sydow blieb stehen und lauschte. Als er nichts hörte, ging er weiter und sagte: »Denen läuft hier keiner davon. Wohin denn? Die armen Hunde sind froh, wenn sie etwas zu essen bekommen. Und Eindringlinge haben sie kaum zu befürchten. Es sei denn, es kommen ein paar ausgeflippte Journalisten, die sich als Mönche verkleidet haben.«
    Brodka zwinkerte mit dem rechten Auge. »Wer weiß, ob die Verkleidung uns nicht doch noch von Nutzen ist. Ich gebe ja zu, im Augenblick komme ich mir auch ziemlich albern vor.«
    Auf dem Treppenabsatz versperrte ihnen eine Schwingtür den Weg. Brodka war sicher, daß sie abgeschlossen war, und überlegte, wie sie sich Zutritt verschaffen könnten; aber als er die Tür antippte, gab sie nach. Er schaute Sydow ungläubig an.
    Der hob bloß die Schultern.
    Auf Zehenspitzen traten sie ein. Vor ihnen lag ein düsterer Gang. Es gab kein elektrisches Licht, und in der Luft lag ein abstoßender Geruch, eine Mischung aus faulem Obst und Karbol. Die Türen zu beiden Seiten hatten in Augenhöhe ausgeschnittene Fenster, durch die man in die Räume dahinter schauen konnte. Mehr als ein Bett und ein Stuhl war in den meisten Zellen nicht zu sehen. Einige standen leer, in anderen vegetierten alte, gebrechliche Männer dahin. Von Padre Theodorus keine Spur.
    Brodka hatte bereits in sämtliche Zellen geäugt, als er hinter sich eine Stimme hörte: »Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?«
    Erschreckt fuhr Brodka herum. »Padre Theodorus?«
    »Ah, Sie erinnern sich. Ich habe Sie beobachtet, als Sie mit dem Buckeligen redeten. In diesem Kloster kann man sich nicht vielen Gelüsten hingeben. Eigentlich ist es nur das heimliche Schauen und Lauschen.« Er leckte sich die Lippen und strich über seinen Bart. Dann musterte er Brodka spöttisch, und ebenso spöttisch meinte er: »Ehrlich gesagt, habe ich damit gerechnet, daß Sie früher oder später hier auftauchen würden. Aber diese abenteuerliche Verkleidung habe ich nicht erwartet.«
    Brodka erwiderte verschämt: »Wir dachten, als Mönche würden wir hier leichter Zutritt bekommen. Dieser Bruder hier ist übrigens Andreas von Sydow vom ›Messaggero‹.«
    Der Padre lachte. »Mein Freund, Sie vergessen eines. Es ist nicht die Kutte, die den Ordensmann macht, sondern sein Habitus.«
    »Sie sagten, Sie hätten mit meinem Kommen gerechnet«, erwiderte Brodka. »Wie darf ich das verstehen?«
    Der Padre blickte nach beiden Seiten; dann öffnete er eine Tür hinter sich und zog die Besucher hinein.
    Wie die übrigen Zellen war auch diese äußerst spärlich möbliert: eine Pritsche, ein Stuhl und eine an der Wand befestigte Holzplatte, die als Tisch diente. Der Mönch bot den Besuchern einen Platz

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