Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
immer?«
    Juliette schwieg, doch Claudio deutete ihr Schweigen richtig. Dann stellte er eine schlichte Frage, die Juliette sich eigentlich längst hätte selbst stellen müssen.
    »Und wie soll es mit uns weitergehen?«
    Juliette schaute Claudio lange an; dann wandte sie den Blick über die Dachterrasse. In der Dämmerung funkelten die Lichter der Stadt.
    Sie wußte keine Antwort.
    Der Raum war fensterlos und hoch, daß man kaum die Decke sehen konnte, was ihm etwas Unheimliches verlieh. Im Unterschied zu allen anderen Räumen im Vatikan besaß er keinen Namen, jedenfalls keinen so vornehmen wie die Sala delle Muse, das Gabinetto del Canova oder die Sala degli Indirizzi. Die wenigen Personen, denen dieser geheime Raum bekannt war, nannten ihn bloß Sala senza Nome, Raum ohne Namen, und das hatte seinen Grund.
    Leo X. der macht- und prachtbesessene Medici-Papst, hatte diesen Raum, der durch mehrere Anbauten zwischen zwei Außenmauern entstanden war, erweitern und mit schlüpfrigen Fresken ausmalen lassen. Zu seiner Erbauung und der seiner Freunde tummelten sich an den Wänden nackte Frauen in unzüchtiger Haltung, was Leos Nachfolger veranlaßte, die sündhaften Darstellungen mit Kalk zu übertünchen.
    Doch der Kalk hielt nicht auf der Sünde; er blätterte ab wie gute Vorsätze und gab bald wieder den Blick frei auf die Frivolitäten, so daß Leos Nachfolger sich entschloß, den Zugang der Sala senza Nome zumauern zu lassen. Der namenlose Raum geriet in Vergessenheit und ist bis heute in keinem Plan verzeichnet.
    Wie Kardinalstaatssekretär Smolenski den Raum entdeckte, blieb ein Geheimnis – wie vieles andere, das ihn umgab. Da die Sala senza Nome keine Fenster und nur einen Zugang besaß, benutzte Smolenski den Raum für Zusammenkünfte ganz besonderer Art, die nie vor Mitternacht begannen, da der Kardinal dann sicher sein konnte, niemanden anzutreffen, der hier nichts zu suchen hatte.
    Vor dem schmalen Eingang, den eine schmucklose Eisentür verschloß, hatten sich zwei große schwergewichtige Diakone aufgebaut. Irgendwie paßten sie nicht recht in ihre frischgebügelten Talare. Ihre Aufgabe bestand darin zu kontrollieren, wer zur Teilnahme an der Gesprächsrunde berechtigt war.
    Zu diesem Zweck hatte der Mann, der sich Belphegor nannte, ein raffiniertes System ersonnen. Da nicht alle Mitglieder zu jeder Zusammenkunft geladen waren, gab er telefonisch ein Codewort aus der Heiligen Schrift aus. Diesmal war es Matthäus 10, Vers 17.
    Belphegor mochte ein Teufel sein, aber ein bibelfester Teufel. Er warf mit Zitaten nur so um sich, was freilich nicht bedeutete, daß er sie ernst nahm. Im Gegenteil, meist machte er sich darüber lustig, und auch Matthäus 10,17 hatte eher eine zynische Beziehung zur Wirklichkeit. Der Vers lautet nämlich: ›Nehmt euch in acht vor den Menschen; denn sie werden euch den Gerichten übergeben …‹
    Um in den namenlosen Saal eingelassen zu werden, flüsterte jeder Teilnehmer einem der beiden Diakone: »Matthäus 10,17« ins Ohr. Die Männer – es handelte sich ausschließlich um Männer – waren allesamt schwarz gekleidet, jedoch keineswegs klerikal: Sie trugen schwarze Zweireiher, handgeschneidert wie eine Uniform, dazu schwarze Krawatten oder weiße Stehkragen.
    Die Männer redeten sich nicht mit ihren richtigen Namen an. Es war, als fühlten sie sich in einer anderen Welt. Wie immer erschien Smolenski als einer der ersten, und wie immer trug er statt seiner Kardinalstracht einen eleganten schwarzen Anzug. Diesmal hatte er seinen Sekretär Polnikov bei sich.
    Äußerst erregt und mit hochrotem Gesicht nahm er an einem langen, schmalen schwarzen Tisch Platz, der in der Mitte des kahlen Raumes stand und von wuchtigen Kandelabern beleuchtet wurde.
    Für gewöhnlich legte Smolenski Wert auf die Anrede ›Eminenza‹, doch im Raum ohne Namen hätte er jeden zur Schnecke gemacht, der ihn nicht mit seinem Decknamen angeredet hätte: Asmodeus.
    Der Mann zu seiner Rechten, Baalzebuth, hieß in Wahrheit Pietro Sadona, war von Beruf Kardinal, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre und überdies ein Freund von Belphegor. Ein Freund im Geiste, wohlgemerkt, denn wahre Freundschaften waren innerhalb der Organisation verpönt.
    Ihm gegenüber setzte sich ein weiterer Kardinal, Enrico Fiorenzo, Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, ein buckliger Mann mit stechenden Augen. Er trug den Decknamen Nergal.
    Aus gutem Grund blieb der Platz neben ihm leer, denn

Weitere Kostenlose Bücher