Purpurschatten
vor?«
Sydow antwortete: »Egal, ob Sie auspacken oder nicht: Wir werden bei der Polizei zu Protokoll geben, daß wir die Geldübergabe in Ninos Trattoria beobachtet haben, daß der Überbringer Titus heißt und daß er bei einem Mann namens Alberto Fasolino ein- und ausgeht. Ich bin sicher, das genügt.«
Meinardi nickte. Seine Wut über den Betrug war größer als seine Angst. »Ich werde aussagen«, beteuerte er.
»Sollen wir Ihnen einen Anwalt besorgen?« fragte Sydow.
Der Alte hob abwehrend beide Hände. »Signori, ich bin ein Mann ohne Ersparnisse. Mein bescheidenes Gehalt reicht gerade zum Leben. Woher soll ich das Geld für einen teuren Anwalt nehmen?«
»Das«, meinte Sydow, »lassen Sie unsere Sorge sein.«
Die beiden Besucher verabschiedeten sich mit dem Versprechen, Meinardi aus dem Gefängnis zu holen.
Zur selben Zeit ging über Rom ein heftiger Frühlingsregen nieder. Juliette mußte das Licht ihres Wagens einschalten. Die Scheibenwischer konnten die Wassermassen kaum bewältigen.
Sie hatte die grünen Wegweiser › A1 ‹ in Richtung Norden außer acht gelassen und war den weißen Schildern mit der Aufschrift › Centro ‹ gefolgt. So gelangte sie zur Via del Corso, wo die Fahrzeuge sich Stoßstange an Stoßstange stauten.
Juliette wurde nervös – nicht nur, weil sie sich verspätet hatte. Als sie endlich den vereinbarten Treffpunkt an der Piazza del Popolo bei den Zwillingskirchen erreichte, die jedem Fremden ein Begriff sind, fuhr sie an den rechten Straßenrand und hielt.
Kaum hatte sie den Wagen zum Stehen gebracht, wurde die Beifahrertür aufgerissen.
»Giulietta!« Claudio warf eine Reisetasche auf den Rücksitz; dann faltete er seinen Schirm zusammen, sprang auf den Beifahrersitz und umarmte Juliette stürmisch. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich über deinen Anruf gefreut habe. Bisher waren wir immer nur Stunden zusammen, jetzt sind es zum erstenmal Tage. Ich bin aufgeregt wie ein kleiner Junge!«
»Das merkt man«, erwiderte Juliette schmunzelnd. Natürlich hätte sich Brodka nie so verhalten; aber war es nicht gerade das Ungestüme, das Handeln ohne Hintergedanken und ohne Rücksicht auf irgendwelche Konventionen, was sie an dem Jungen so faszinierte?
Während Claudio sie mit sicheren Kommandos aus der Stadt auf den Autobahnring lotste, zog er seine Windjacke aus, die wie eine zweite Haut an seinem Körper klebte, und breitete sie auf dem Rücksitz zum Trocknen aus. Ebenso das Hemd, so daß Claudio schließlich mit nacktem Oberkörper neben ihr saß.
Nachdem sie die Autobahnstation, an der man die Mautkarte ziehen muß, hinter sich gelassen hatten, entledigte sich Claudio auch der restlichen Kleidungsstücke. Es hatte aufgehört zu regnen, und Juliette öffnete die rückwärtigen Fenster, damit der Fahrtwind die Kleider trocknete.
»Es stört dich doch nicht?« sagte Claudio unbedarft.
Juliette konnte sich nicht erinnern, je im Leben mit einem nackten Mann, einem ziemlich attraktiven sogar, über die Autobahn gerast zu sein. »Nein«, antwortete sie lachend, und dabei rutschte ihr heraus: »Im Gegenteil!«
Sie faßte nach Claudios Schenkel, aber im nächsten Augenblick zog sie verlegen ihre Hand zurück.
Die Autostrada zwischen Orvieto und Arezzo mit ihrer weiten Straßenführung forderte der Fahrerin wenig Konzentration ab und war daher auf besondere Weise zum Nachdenken geeignet, sobald das Gespräch einschlief. Es war schon merkwürdig, aber im Umgang mit Claudio benahm Juliette sich anders, als es ihrem Wesen entsprach. Allein seine Gegenwart verleitete sie zur Unvernunft, ließ sie in einer Sprache reden, die ihr fremd war, und Dinge tun, die ihr im nachhinein fragwürdig erschienen. Woran lag das?
Obwohl Claudio ein kluger Junge war, verliefen ihre Gespräche ziemlich oberflächlich, sah man einmal von den immer wiederkehrenden Liebesschwüren ab, welche Juliette genoß wie den Duft eines Parfüms.
Nach zweihundert Kilometern hatte der warme Fahrtwind seine Kleidungsstücke getrocknet, und Claudio begann sich wieder anzuziehen.
»Du siehst ziemlich zerknittert aus«, meinte Juliette lachend, »hast du nichts anderes anzuziehen?«
Claudio blickte an sich herab, dann sah er Juliette an. Sie trug einen raffiniert geschnittenen Overall und einen breiten Gürtel und wirkte selbst am Steuer des Wagens elegant. Er genierte sich plötzlich und angelte aus seiner Reisetasche ein neues T-Shirt.
»Ich weiß, du schämst dich mit mir«, sagte er
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