Purpurschatten
innen verriegelte sie die Tür; dann zog sie ihren verschwitzten Overall aus und stellte sich unter die kalte Dusche. Und während das Wasser ihr ins Gesicht prasselte, ärgerte sie sich über sich selbst.
Als sie nach zwanzig Minuten in ein Handtuch gehüllt aus dem Badezimmer trat, kroch sie unter die Bettdecke und schlief sofort ein.
Das gemeinsame Frühstück am nächsten Morgen gegen zehn verlief ungewöhnlich schweigsam. Claudio wußte, daß er zu weit gegangen war. Und Juliette stellte sich die Frage, warum sie sich das alles antat. Sie war doch eigentlich alt genug, um zu wissen, daß Zweisamkeit aus mehr besteht als aus diesem bißchen Reibung primärer Geschlechtsmerkmale.
Allein wie Claudio mit seinem Frühstücksei umging, genügte, Juliette an ihrem Verstand zweifeln zu lassen. Denn zweifellos erkennt man am Eiaufklopfen den Charakter eines Menschen. Es gibt kaum eine alltägliche Handlung, die unterschiedlicher gehandhabt wird. Claudio zog es vor, das weiche Ei mit den Fingern völlig von seiner Schale zu befreien und es dann anzubeißen wie einen Apfel, daß das Dotter auf den Teller tropfte.
Juliette genierte sich und blickte besorgt nach allen Seiten, ob dieser Vorgang ohne Zeugen blieb. Schließlich mahnte sie zur Eile. Sie habe viel zu erledigen an diesem Tag. Ob er sich nicht die Innenstadt ansehen wolle?
»Ich will dich ansehen, Giulietta!« beharrte Claudio, »schick mich nicht fort!«
»Wer schickt dich fort?« wandte Juliette ein. »Ich habe tausend Dinge zu erledigen. Du wirst dich langweilen!« Die Vorstellung, mit ihrem jungen Liebhaber in der Klinik zu erscheinen, bereitete ihr Unbehagen.
Endlich einigten sich die beiden, ein paar Dinge gemeinsam zu besorgen. Am Nachmittag sollten sich ihre Wege trennen.
Ihr erster Weg an diesem Tag führte sie zum Collinschen Haus. Zwischen den Steinplatten am Eingang wucherte Gras. Juliette hatte Mühe, die Haustür aufzustoßen, soviel Post und Beileidsschreiben waren durch den Briefkastenschlitz geschoben worden.
Im Inneren des Hauses roch es muffig, und Juliette riß Fenster und Türen auf. Kartons und Kisten standen herum, Relikte ihrer Entrümpelungsaktion. Nein, dieses Haus war nicht mehr ihr Zuhause.
Claudio verstand nicht, warum Juliette sich von all dem Luxus trennen wollte, der trotz der Unordnung zu erkennen war. »Du bist eine reiche Frau«, bemerkte er anerkennend, »das wußte ich ja gar nicht.«
»Dann weißt du's jetzt«, murmelte Juliette.
Als sie das Badezimmer im Obergeschoß betrat, erschrak sie. Auf dem Spiegel über dem Waschbecken prangte in leuchtendem Rot das Wort Warum? In tiefer Verzweiflung hatte sie es damals, nach Collins Unfall, mit Lippenstift auf die Spiegelfläche geschrieben. Nun hatte es eine neue Bedeutung für sie. Nachdenklich nahm sie ihren Lippenstift von der Konsole und machte einen dicken Strich unter das Wort.
»Ich muß hier raus«, sagte sie zu Claudio. »Komm.«
Claudio, der Juliettes Reaktion nicht begreifen konnte, stellte keine Fragen, als er sie zu Brodkas Wohnung begleitete, wo Juliette ebenfalls nach dem Rechten sehen wollte.
Als sie die Tür aufschloß, spürte sie sofort, daß bereits vor ihr jemand die Wohnung betreten hatte. Ängstlich griff sie nach Claudios Hand, ohne daß es ihr bewußt gewesen wäre.
»Was hast du?« fragte er verwundert.
Doch Juliette drückte nur den Zeigefinger auf die Lippen. Vorsichtig bewegte sie sich in Richtung Wohnzimmer. Als sie durch die Tür spähte, stockte ihr der Atem.
In einem Sessel saß Brodka mit übereinandergeschlagenen Beinen. Gelassen sagte er: »Kommt nur herein. Oder habt ihr Angst vor mir? Ich beiße nicht.«
Juliette trat mit dem sichtlich verschüchterten Claudio ins Zimmer. In diesem Augenblick wäre sie am liebsten im Boden versunken. »Ich … ich dachte, du wärst in Rom. Ich bin nur hier, um nach deiner Post zu sehen«, sagte sie und kam sich wie eine Idiotin vor.
Brodka grinste. »Nett von dir. Aber ich hielt es für besser, das selbst zu besorgen. Du hast doch nichts dagegen?«
Juliette war völlig durcheinander. Sie warf Brodka und Claudio abwechselnd hilflose Blicke zu und rang sich schließlich die Bemerkung ab: »Claudio kennst du ja schon. Vom ›Messaggero‹.«
Brodka zeigte keine Reaktion. Es schien, als hätte er Juliette gar nicht gehört, und Claudio schenkte er nicht die geringste Beachtung. Statt dessen fragte er: »Hast du wenigstens die Bilder heil hierher gebracht?«
»Sie sind im Safe des Hilton«,
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