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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Umklammerung zu befreien.
    »Du bist verrückt, Claudio!« rief sie atemlos, aber im selben Atemzug wußte sie, daß er recht hatte.
    Eigentlich hatte sie es immer gewußt.
    Flug Swissair 553 nach Zürich ging pünktlich um 12 Uhr 45. Brodka landete eine Dreiviertelstunde später in Zürich Kloten.
    Er hatte keinen Blick für das sonnige Frühlingswetter und den tintenblauen Himmel, der sich über der Stadt am See wölbte. Sein letzter Besuch lag Monate zurück. Damals, im Winter, hatte die Stadt sich von ihrer häßlichsten Seite gezeigt.
    Das Haus der Kellers, das ihm bei seinem ersten Besuch trist und beinahe schäbig vorgekommen war, machte nun einen freundlichen Eindruck. Neben dem Eingang und im Garten leuchteten die ersten Frühlingsblumen.
    Wie damals kam Brodka unangemeldet.
    Auf sein Klingeln trat Keller aus der Tür. Er war blaß und schien um Jahre gealtert, erkannte Brodka jedoch sofort, und seine Miene hellte sich auf.
    »Ich habe Sie erwartet«, sagte er und verschwand für einen Augenblick im Haus, um auf den Toröffner zu drücken. »Kommen Sie bitte herein.«
    Brodka bedankte sich für Kellers Brief und sprach dem alten Mann seine Teilnahme zum Tod seiner Frau aus.
    Keller nickte und lächelte wehmütig. »Es war besser für sie. Die letzten Wochen waren eine Qual. Hilda kam jeden Tag nur noch für ein paar Augenblicke zu Bewußtsein. Die übrige Zeit dämmerte sie vor sich hin. Ja, so war das. So, so.«
    »Gestatten Sie mir eine Frage«, begann Brodka nach einer Pause. »Warum haben Sie mir das Dokument nicht bei meinem ersten Besuch ausgehändigt?«
    Keller nickte verständnisvoll. »Ich wußte, Sie würden das nicht verstehen«, erwiderte er, »aber Hilda und ich hatten ein sehr vertrauensvolles Verhältnis.« Er öffnete einen alten Schreibsekretär und nahm einen braunen Umschlag heraus. Dann fuhr er fort: »Vor vielen Jahren, als es noch besser um sie bestellt war, zeigte sie mir einmal diesen Umschlag und sagte, falls ihr etwas zustoße – aber nur dann –, sollte ich diesen Umschlag ihrer Freundin Claire Brodka geben. Ich fragte, was in dem Umschlag sei, aber Hilda meinte, es gehe mich nichts an und es sei besser, wenn ich es nicht wüßte. Jetzt ist Hilda tot und Claire Brodka ebenso. Also sind Sie derjenige, dem der Umschlag zusteht.«
    Brodka nahm den Umschlag wortlos entgegen. Auf der Vorderseite stand mit Tinte geschrieben: Für Claire. Mit bloßen Fingern riß Brodka den Umschlag auf. Keller wandte sich diskret zur Seite.
    In dem Umschlag steckte eine alte Fotografie, die Brodka obendrein nicht unbekannt war. Das gleiche Bild hatte er im Bankschließfach seiner Mutter gefunden. Es zeigte sie in jungen Jahren an der Seite eines Mannes.
    Dabei lag ein kurzer Brief:
    Liebe Claire!
    Hier gebe ich Dir Dein Foto zurück. Wenn Du es nicht mehr haben willst, dann gib es Deinem Sohn. Ich werde nie vergessen, wie er geweint hat, als der Mann in Purpur ihn Dir weggenommen hat. So soll er wenigstens eine Erinnerung an seinen Vater haben.
    In alter Freundschaft,
    Hilda.
    »Sie können sich ruhig wieder umdrehen«, meinte Brodka enttäuscht und zeigte Keller das Foto. Brodka hatte irgendein Dokument erwartet, das ihm einen Hinweis geben würde; aber das Foto kannte er ja bereits, und der Brief blieb ihm unverständlich und rätselhaft.
    »Ist das alles?« fragte Keller. »Hat das Bild eine Bedeutung für Sie?«
    Brodka hob die Schultern. »Wenn ich das wüßte! Aber wenn es keine Bedeutung besäße, hätte Ihre Frau bestimmt nicht so ein Geheimnis daraus gemacht. Hat sie Ihnen nie etwas darüber erzählt?«
    »Nie. Seltsam. Dabei dachte ich, es gab zwischen uns keine Geheimnisse.«
    »Warum wollte Ihre Frau das Foto überhaupt zurückgeben?« fragte Brodka.
    »Nun ja«, meinte Keller, »ursprünglich war das Bild ja Ihrer Mutter zugedacht. Aber nehmen Sie doch Platz, Herr Brodka.«
    Brodka ließ sich in einem altmodischen Sessel nieder, der wie das meiste in diesem Haus schon bessere Tage gesehen hatte. Schließlich meinte er, während er nachdenklich die Fotografie betrachtete: »Was glauben Sie, Herr Keller, welchen Grund gibt es, um ein gewöhnliches Foto so ein Aufheben zu machen?«
    »Sie gestatten?« Der blasse Mann betrachtete das Bild. Dann blickte er auf und sagte: »Vielleicht wäre es ein Skandal gewesen, hätte man Claire Brodka mit diesem Mann in Verbindung gebracht. Möglicherweise eine bekannte Persönlichkeit. Oder verheiratet. Oder das Gegenteil …« Keller rieb sich das

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