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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Polnikov war ein kleiner, glatzköpfiger Mann, dem nachgesagt wurde, er habe seit dem Niedergang des Kommunismus in Polen nicht mehr gelacht. Seine verhärmten Gesichtszüge ließen diesen Schluß durchaus zu.
    Daß er ein Spätberufener war, wußten nur die wenigsten. Und seine Vergangenheit als KGB-Mitglied mit Spezialaufgabe elektronische Logistik war nur Smolenski bekannt. Polnikov war es auch, der den Kardinalstaatssekretär mit allen elektronischen Raffinessen ausgestattet und jene Anlage installiert hatte, die es Smolenski seit geraumer Zeit ermöglichte, alle wichtigen Stellen im Vatikan zu observieren. Selbst die Privaträume des Papstes.
    Hinter Polnikovs dicken Brillengläsern verbarg sich im übrigen ein scharfer Verstand, der mit Bits und Bytes ebenso umzugehen verstand wie mit der Philosophie eines Hegel oder Kant. Als kleiner Sekretär eines herrschsüchtigen Kardinals war Polnikov natürlich unterfordert, doch der kleine Mann wäre nie auf die Idee gekommen, sich über mangelnde Herausforderungen zu beklagen.
    Vor Smolenski lag die Checkliste der Operation auf dem Schreibtisch, daneben eine Reihe Pressefotos vom Segen Urbi et Orbi im vergangenen Jahr. Sie zeigten den Papst in der Mitte der Loggia von St. Peter. Zu seiner Linken der päpstliche Kammerherr. Zu seiner Rechten Kardinal Rocchetta, der Älteste in der Kardinalsriege.
    Zum wiederholten Male flimmerte über einen der zahlreichen an der Wand installierten Bildschirme die Videoaufzeichnung des Ostersegens. Smolenski und Polnikov verfolgten die Szene wie gebannt.
    Der Papst rührte sich während der Zeremonie nicht vom Fleck. Das hatte seinen Grund: Genau in der Mitte der Loggia war das Mikrofon aufgestellt, in das er sprach.
    »Großartig!« lobte Smolenski die Planungsarbeit seines Sekretärs.
    Polnikov konnte sich nicht erinnern, jemals von seinem Chef gelobt worden zu sein.
    »Sehen Sie noch irgendeine Schwachstelle, Polnikov?«
    Natürlich erwartete Smolenski ein klares Nein auf seine Frage; aber der Sekretär zögerte.
    Polnikov nahm die Kassette aus dem Recorder und legte eine andere ein. »Es gibt da eine gewisse Unsicherheit, Eminenza …«
    »Unsicherheit? Es darf nicht die kleinste Unsicherheit geben!« schimpfte Smolenski.
    Auf dem Monitor erschien die gleiche Szene noch einmal.
    Der Kardinalstaatssekretär blickte Polnikov fragend an.
    »Das ist Urbi et Orbi vor zwei Jahren«, erklärte Polnikov. »Sehen Sie nur, Eminenza!«
    Auf dem Bildschirm verrückte der päpstliche Kammerherr ohne ersichtlichen Grund das Mikrofon. Plötzlich stand der Papst nicht mehr exakt in der Mitte der Loggia.
    Smolenski wurde bleich. »Theoretisch könnte das morgen wieder passieren. Was können wir tun, Polnikov?«
    Der Sekretär spulte das Band zurück und ließ die Szene noch einmal ablaufen. »Das ist die Unsicherheit, von der ich sprach, Eminenza. Wenn Sie mich fragen, können nur Sie selbst diese Gefahr bereinigen. Nehmen Sie Kardinal Rocchettas Stelle ein.«
    »Ich? Unmöglich! Ich muß den Schuß auslösen!«
    »Was hindert Sie daran, Eminenza?« Polnikov hielt ein kleines Etwas hoch, kaum größer als ein Füllfederhalter. »Der Sender läßt sich in jeder Jackentasche verbergen, ganz zu schweigen von den Falten eines Kardinalsgewandes.«
    Smolenski nahm das Gerät in die Hand, prüfte dessen Gewicht und befand: »Keine schlechte Idee. Wie groß ist eigentlich die Zielgenauigkeit der Waffe?«
    Polnikov machte eine abfällige Handbewegung. »Mit dem Tokarev LZ 803 schießen Sie Ihrem Gegner aus zweihundert Meter Entfernung eine Zigarette aus dem Mund. Ich fürchte, das größere Problem wird darin bestehen, Kardinal Rocchetta zu überzeugen, daß Sie beim Urbi et Orbi seine Rolle einnehmen.«
    »Das«, meinte Smolenski, »lassen Sie ruhig meine Sorge sein!«
    Wie vorgesehen hatte ein Bautrupp die Trümmer der Explosion auf den Kolonnaden beseitigt und ein Baugerüst aus Eisenstangen errichtet. Während in der Peterskirche die Feierlichkeiten der Osternacht abliefen, bestieg Polnikov im Schutze der Dunkelheit die Kolonnaden über den östlichen Aufgang. Er trug einen schmalen, länglichen Koffer bei sich, wie ihn Musiker für ihre Instrumente verwenden.
    Um dem grellen Scheinwerferlicht zu entgehen, mit dem Berninis Kolonnaden zur Nachtzeit angestrahlt werden, durfte Polnikov sich nicht an der Vorderseite bewegen. Geduckt und stellenweise auf allen vieren kriechend, wobei er den Koffer vor sich herschob, gelangte er schließlich zu dem

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