Purpurschatten
Eingangstreppe zu einem der Häuser hinaufsteigen wollte, erkundigte sich Sydow, ob sie ihm etwas über den Fotografo Gamber sagen könne.
Die Frau stellte ihre Taschen ab und dachte nach, den Handrücken an die Stirn gelegt. Gamber, Gamber? Der Name komme ihr bekannt vor. Aus einem Fenster des Hauses, vor dem sie gerade standen, steckte ein alter Mann neugierig den Kopf heraus. Die alte Signora rief zu ihm hinauf, ob er sich an einen Fotografen namens Gamber erinnern könne. Er solle in dieser Straße sein Atelier gehabt haben.
Der alte Mann hob den Arm und zeigte auf ein heruntergekommenes Haus schräg gegenüber. Dort drüben, erwiderte er mit heiserer Stimme, wäre Gambers Laden gewesen. Der Fotografo habe am Rialto Touristen geknipst, manchmal auch eine Hochzeit, doch vor ein paar Jahren, fünf oder sechs könnten es sein, sei seine Frau verstorben und kurz darauf er selbst. Aber vielleicht wisse man im Haus gegenüber mehr.
In dem Gebäude befand sich ein Souvenirladen. Vor dem Schaufenster, in dem goldene Plastikgondeln und Kitsch aus farbigem Glas feilgeboten wurden, saß eine junge Frau auf einem Hocker und wartete auf Kundschaft.
Ob sie sich noch an den Fotografen Gamber erinnere, fragte Sydow höflich und fügte hinzu, sie interessierten sich für ein Foto, das Gamber vor langer Zeit aufgenommen habe.
Die Signora blickte mißtrauisch. »Sind Sie von der Polizei?« fragte sie unverhohlen.
Sydow zückte seinen Ausweis. »Wir sind von der Zeitung«, sagte er. »Vom ›Messaggero‹ in Rom.«
Plötzlich wurde die Frau gesprächig. In Venedig, erklärte sie, lese man den › Gazzettino ‹ und ›La Nuova Venezia‹ – keine Zeitungen von Bedeutung. Aber wenn Reporter des ›Messaggero‹ in Venedig recherchierten, solle gewiß ein großer Skandal aufgedeckt werden, und da habe sie bestimmt ein gutes Honorar zu erwarten, wenn sie ihnen behilflich sei.
Es gehe weder um einen Skandal, erwiderte Sydow, noch um eine andere große Sache, sondern allein um den Fotografen Gamber, doch was das Honorar betreffe, könne man darüber reden, falls die Signora einen brauchbaren Hinweis für sie hätte.
Sydow und Brodka erfuhren, daß Gambers Tochter Maria das heruntergekommene Haus samt Fotoladen geerbt, aber kein Interesse gehabt habe, wie ihr Vater Touristen zu fotografieren. Sie habe das Haus vermietet und sei nach ihrer Heirat mit ihrem Mann, einem Chemiker aus Mestre, nach Rom gezogen. Sie selbst arbeite als freie Fotografin für verschiedene Zeitungen. Einmal im Jahr käme sie nach Venedig, um in ihrem Haus nach dem Rechten zu sehen.
»Wie heißt die Signora?« fragte Sydow.
»Maria Bonetti.«
»Bonetti? – Klein? Mit dunklem, krausem Haar?«
»Ja, Signore.«
»Was ist?« Brodka schaute Sydow verwundert an. »Kennen Sie die Frau?«
»Sie arbeitet manchmal als Society-Fotografin für den ›Messaggero‹. Daß ich sie kenne, wäre zuviel gesagt. Wir sind uns bloß ein paarmal begegnet.«
Er zog zwei Scheine aus der Tasche und reichte sie der Besitzerin des Souvenirladens. »Vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen.«
Zum Campo della Pescheria waren es nur ein paar Minuten, und Sydow, der Venedig gut kannte, schlug vor, die Ravioli und Tagliolini im ältesten Restaurant der Stadt zu versuchen, der Antica Trattoria Poste Vecchie .
Bei Pasta und Soave-Wein beratschlagten Brodka und Sydow in einer stillen Ecke des Lokals ihr weiteres Vorgehen. Daß Maria Bonetti in Brodkas Fall den entscheidenden Hinweis geben könnte, wagten zu diesem Zeitpunkt weder er noch Sydow zu hoffen.
Zu seiner Verblüffung wurde Brodka auf dem Flughafen von der Comtessa erwartet, und so verabschiedete er sich von Sydow, nicht ohne ihm seine neue Liebe vorgestellt zu haben. Sydow versprach, für den folgenden Tag ein Treffen mit Maria Bonetti, der Tochter des Fotografen, zu vereinbaren.
»Woher wußtest du, daß ich mit dieser Maschine aus Venedig zurückkomme?« fragte Brodka, während Mirandolina ihren Lancia auf den Autobahnring steuerte.
»Ich wußte es nicht«, gab die Comtessa zur Antwort, »aber wenn man jemanden liebt, dann fühlt man so etwas. Du nicht?«
»Ehrlich gesagt, nein. Jedenfalls habe ich mich in dieser Hinsicht noch nie auf meine Gefühle verlassen.«
»Nein, im Ernst«, meinte Mirandolina, »es gab nicht so viele Möglichkeiten. Ich habe bei der Auskunft angerufen und erfahren, daß aus Venedig heute nur noch zwei Flüge ankommen. Wärest du mit der späteren Maschine gekommen, hätte ich eben so
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