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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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dürfte Ihnen keine Auskunft geben. Sie verstehen …«
    Juliette sprang auf, beugte sich über den Schreibtisch und blickte Saulus ins bebrillte Gesicht: »Hören Sie zu, Doktor«, sagte sie aufbrausend, ja drohend, »Ihre Einschätzung meiner Familienverhältnisse interessiert mich nicht im geringsten. Ich bin hier, um zu erfahren, wann Sie Herrn Brodka endlich entlassen. Es gibt absolut keinen Grund, ihn länger hier festzuhalten!«
    Saulus wich Juliette aus, indem er sich im Stuhl zurücklehnte. »Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Herr Brodka unter paranoider Schizophrenie leidet. Der Patient weist Denk- und Affektstörungen auf, die dringender Therapie und längerer Beobachtung bedürfen. Erste Anzeichen lassen auf eine Kampfparanoia schließen. Was Sie vielleicht nicht wissen, der Patient hat bereits eine Krankenschwester niedergeschlagen. Ich selbst konnte ihn nur mit Gewalt von weiteren unkontrollierten Taten abhalten.«
    Juliette ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder. Brodka – schizophren? Sie schüttelte so heftig den Kopf, daß Saulus sie fragend musterte. Schließlich sagte sie mit ruhiger Stimme: »Wenn Brodka unter paranoider Schizophrenie leidet, können Sie mich auch gleich hierbehalten. Wir haben nämlich beide dasselbe gesehen.«
    »Was haben Sie gesehen?« erkundigte der Arzt sich mit gespieltem Interesse.
    Juliette öffnete ihre Handtasche und zog das Foto hervor, hielt es Saulus ganz nahe vor die Augen. »Wir haben im Stephansdom eine ältere Dame gesehen, die haargenau so aussah wie die Frau auf diesem Foto.«
    »Schön und gut«, erwiderte der Arzt, »aber das ist doch kein Grund, in Panik zu geraten. Hat die Person Herrn Brodka bedroht? Oder verfolgt?«
    »Nein«, entgegnete Juliette kühl, »das wäre auch gar nicht möglich, denn die Person ist Brodkas Mutter, und die ist seit zwei Monaten tot. Jedenfalls hat man sie auf dem Münchner Waldfriedhof beerdigt. Ich weiß nicht, wie Sie reagieren würden, wenn Ihnen das gleiche passierte.«
    Saulus musterte Juliette mit kritischem Blick. Dabei funkelten seine Brillengläser bedrohlich.
    Was wird er jetzt wohl sagen, überlegte Juliette. Sie war auf alles gefaßt. Doch Saulus' Antwort fiel knapp und nichtssagend aus. Er erwiderte: »Ach, so ist das.«
    »Ja, so ist das!« wiederholte Juliette in spöttischem Tonfall. Es fiel ihr schwer sich zu mäßigen. In ihrer Stimme lag etwas Drohendes, als sie fragte: »Wie lange wollen Sie Herrn Brodka noch in der Klinik festhalten?«
    Saulus verschränkte die Arme über der Brust. »Von Festhalten kann keine Rede sein. Herr Brodka wird hier behandelt. Und was die Dauer der Behandlung angeht, möchte ich keine Prognose wagen. Aber Patienten mit diesem pathologischen Erscheinungsbild kann man keinesfalls von heute auf morgen entlassen. Seien Sie versichert, daß wir alles tun werden, um seine Gesundheit wiederherzustellen.«
    »Aber Brodka ist nicht krank!«
    »Das sagen Sie, Frau Collin. Im übrigen sagen das alle, die hier eingeliefert werden. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«
    Dann erhob er sich und hielt Juliette lächelnd die Tür auf.
    Brodka hatte viel Zeit – Zeit genug, um sich einen Plan zurechtzulegen, wie er aus dieser gottverdammten Anstalt herauskommen konnte.
    Die Schlüsselfigur in seinem Plan war der stämmige Pfleger, dessen Namen er nicht einmal kannte und den er deshalb nur mit ›Pfleger‹ anredete. Nach ein paar Tagen, in denen Brodka bemüht war, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen, nervte diesen die Anrede ›Pfleger‹ so sehr, daß er erklärte: »Ich heiße Joseph. Aber sagen Sie Jo zu mir.«
    »Jo«, meinte Brodka eines Tages, nachdem er sich ein gewisses Zutrauen erschlichen hatte, »als Pfleger in einer geschlossenen Anstalt wird man sicher nicht gerade üppig bezahlt, oder?«
    Der Pfleger knallte Brodka das Tablett mit dem Frühstück hin, eine Art Milchkaffee und zwei Brötchen, mit Marmelade bestrichen, und erwiderte mürrisch: »Das kannst du laut sagen. Aber besser als gar kein Job. Trotzdem kann ich auf dein Mitleid verzichten, Brodka.«
    »Von Mitleid ist keine Rede«, entgegnete Brodka. »Eher von einem Geschäft zwischen uns beiden.«
    »Aha«, meinte Jo, und seine Bemerkung klang, als würde er sich über seinen Patienten lustig machen.
    »Zehntausend Schilling sind doch für einen Mann wie dich viel Geld, oder?« Brodka musterte den Pfleger aufmerksam. Wie würde er auf diese Frage reagieren?
    »Zehntausend? Klar ist das viel Geld.

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