Purpurschatten
sie eine lebhafte Diskussion über Juliettes weiteres Schicksal. Der Rotwein zeigte seine Wirkung. Jedenfalls argumentierten die beiden ebenso lautstark wie infantil, wobei sie Juliette, um die es ja ging, vollkommen außer acht ließen. Als Juliette den Versuch machte, sich einzumischen, verbot Collin ihr sogar den Mund, ohne daß Brodka Einwände erhob.
Zu Juliettes Leidwesen soffen Collin und Brodka sich beinahe so etwas wie gegenseitige Sympathie an. Die völlige Harmonie scheiterte nur an der einen Frage, wer von beiden ein Recht auf Juliette habe.
»Und ich werde überhaupt nicht gefragt?« rief sie und wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
Collin und Brodka bedachten sie mit staunenden, alkoholseligen Blicken. Aber keiner antwortete.
»Wenigstens dich«, meinte Juliette, an Brodka gewandt, »hätte ich für klüger gehalten.«
Die Männer blickten einander an. Dann sagte Brodka zu Collin: »So kann man sich irren.«
Als er wenig später, halb ernst, halb weinselig, Collin die Frage stellte: »An wieviel Ablöse für Juliette haben Sie eigentlich gedacht?«, stampfte sie wütend auf, holte eine Tasche aus dem Nebenzimmer, warf sich den Mantel über die Schulter und knallte die Wohnungstür hinter sich zu.
Ziemlich ratlos starrten Collin und Brodka auf die Tür. Dann schauten sie sich an, und Collin sagte mit schwerer Zunge: »Ich habe mal von einer Nutte gelesen, die war ihrem Zuhälter hunderttausend Mark wert. So gesehen, ist Juliette natürlich viel teurer. Sie ist schließlich eine ehrbare Frau. Ist sie nicht wunderbar?«
Brodka nahm einen tiefen Schluck.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Professor«, sagte er dann. »Wir lassen das Schicksal entscheiden, wem Juliette gehören soll.«
»Sie gehört mir!« grölte Collin mit verschleiertem Blick.
»Und ich behaupte, sie gehört zu mir«, gab Brodka zurück. »Und da wir uns nun mal nicht einigen können, sollte das Los entscheiden. Ich mach' Ihnen einen Vorschlag: Wir würfeln um sie.«
Vom Wein benebelt, dachte Collin nach. Der Vorschlag erschien ihm verlockend, und er erklärte sich einverstanden.
Was Brodka zu dem irrwitzigen Vorschlag veranlaßt hatte, vermochte er später selbst nicht zu sagen. Im Spiel hatte er noch nie Glück gehabt. Im Gegenteil. Er gehörte zu den Leuten, die bei einer Tombola zwanzig Lose kaufen konnten und mit Sicherheit zwanzig Nieten zogen.
Brodka nahm einen Würfelbecher vom Regal. »Sie nennen die Bedingungen.«
»Dann schlage ich vor, wir würfeln abwechselnd. Wer als erster drei Sechser hat, der hat gewonnen.«
Collin nahm den Becher zwischen beide Hände und schüttelte ihn so heftig, als wollte er sämtliche Augen aus den Würfeln rütteln. Dann stülpte er den Becher mit lautem Knall auf den Tisch.
Brodka grinste, als er sah, daß Collins Wurf danebengegangen war.
Aber auch Brodka war nicht gerade vom Glück verfolgt.
Die beiden würfelten und tranken beinahe seit einer halben Stunde, als Collin erklärte, sie sollten es mit nur einem Würfel versuchen; dreimal die Sechs zu werfen sei beinahe unmöglich. Noch während er den Vorschlag machte, hämmerte er den Becher auf die Tischplatte. Die beiden Männer starrten auf die Würfel: dreimal die Sechs.
»Sie haben gewonnen«, murmelte Brodka enttäuscht. Es schien, als hätte ihn Collins Wurf von einem Augenblick auf den anderen ernüchtert.
Collin grinste, sichtlich mit der Wirkung des Alkohols kämpfend. Er rappelte sich hoch und prüfte wankend und steif wie ein Besenstiel seine Standfestigkeit. Schließlich sagte er mit ernstem Tonfall: »Dann ist ja alles klar. Wenn Sie mir bitte ein Taxi rufen wollen.«
Wie in Trance griff Brodka zum Telefon. Er nahm nicht einmal wahr, wie Collin verschwand, als das Taxi eintraf. Er dachte nur: Jetzt ist alles aus.
Auf dem Weg zur Toilette sah er in der Diele Collins Mantel an der Garderobe. Brodka nahm ihn vom Haken, wankte damit ins Treppenhaus, doch Collin war bereits verschwunden. Als Brodka den Mantel wieder aufhängte, bemerkte er in einer der Seitentaschen einen schweren Gegenstand.
Brodka griff in die Tasche und zog einen Revolver hervor.
In ihrer Verärgerung über Brodkas Verhalten – von Collin hatte sie nichts anderes erwartet – hatte Juliette sich zu Norbert geflüchtet, der nicht weit entfernt in einer Mansarde lebte und seit vielen Jahren zu Juliettes stillen Verehrern zählte.
Norbert war etwa dreißig Jahre alt. Er trug seine kurzen dunklen Haare nach vorn in die Stirn
Weitere Kostenlose Bücher