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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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nicht gefallen? Juliette nickte lächelnd und wandte sich zu den Taxis um, doch Claudio faßte sie am Arm und drängte sie sanft zu einer Lambretta, die auf dem Bürgersteig geparkt war.
    »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, mit mir Motorroller zu fahren.«
    »Nein, im Gegenteil«, beteuerte Juliette, fragte sich jedoch, wie sie das Gefährt mit ihrem engen Rock besteigen konnte.
    »Wissen Sie, Giulietta, in Rom fährt kein vernünftiger Mensch mit dem Auto. Vor jeder Kreuzung steht man im Stau. Mit der Lambretta kommen Sie überall durch.«
    Claudio bemerkte den besorgten Blick, mit dem Juliette das Gefährt musterte. »Keine Angst«, meinte er lachend, »eine Dame sitzt auf einer Lambretta natürlich im Damensitz, so wie früher die vornehmen Signoras geritten sind – beide Beine nach einer Seite, in der Regel nach links. Ganz einfach, Sie werden sehen.«
    Claudio startete den Motorroller, und Juliette nahm hinter ihm Platz, wie er es beschrieben hatte.
    »Sie müssen sich mit beiden Händen an mir festhalten, Giulietta«, rief Claudio; dann gab er Gas.
    Er lenkte die Lambretta so verwegen durch den abendlichen Verkehr, daß Juliette Angst bekam. Sie klammerte sich an Claudio, so fest sie nur konnte, und gewann allmählich Zutrauen in seine Fahrkünste. Es gefiel ihr.
    Über die Piazza Colonia, die von der Triumphsäule des Marc Aurel beherrscht wird, vorbei am Pantheon mit seiner imposanten Kuppel, durch Straßen, die für jeden Verkehr gesperrt sind, und über rote Ampelkreuzungen gelangten sie in weniger als zwanzig Minuten zur Piazza Navona, einem der schönsten Plätze Roms.
    »Mit dem Taxi wären wir gerade auf der Piazza Barberini«, meinte Claudio schelmisch, während er Juliette vom Roller half. Er parkte die Lambretta geradewegs vor einem Lokal, vor dem weißgedeckte Tische auf die Straße gestellt und mit Efeu eingerahmt waren. Dazwischen funkelten Girlanden aus roten, grünen und gelben Lämpchen. Aus dem Inneren der Trattoria drang laute Musik, eine Opernarie von Verdi. Die Ober trugen lange weiße Schürzen und balancierten Tabletts mit Gläsern und Speisen gekonnt über den Köpfen der Gäste, als gelte es einen Wettbewerb zu gewinnen.
    Die meisten Tische waren besetzt. Claudio faßte Juliette am Arm und steuerte auf den einzigen freien Ecktisch zu. »Ich hoffe, es gefällt Ihnen, Giulietta. Sie müssen wissen, hier gibt es das allerbeste Fritto misto in ganz Rom.«
    Juliette gefielen die ständigen Übertreibungen des jungen Mannes, der stets mit einem Augenzwinkern sprach, als würde er sich selbst nicht ganz ernst nehmen. So machte es Juliette nichts aus, als Claudio mit lauter Stimme, daß man es auch am Nebentisch hören konnte, verkündete: »Giulietta, Sie sind die schönste Frau, mit der ich je gespeist habe.«
    »Schmeichler«, sagte Juliette auf deutsch.
    »›Schmeichler‹?« fragte Claudio. »Was ist das, ›Schmeichler‹?«
    Plötzlich schallte vomNebentisch eine kräftige, tiefe Stimme: »Adulatore !«
    Die Stimme gehörte einem wohlbeleibten Mann mit kurzem grauem Haar und gepflegtem Backenbart, der einen ganzen Tisch für sich einnahm.
    Mit einem Augenzwinkern bedankte Claudio sich bei dem zuvorkommenden Tischnachbarn für die Übersetzungshilfe; dann beugte er sich zu Juliette vor und sagte leise hinter vorgehaltener Hand: »Ein verrückter Schriftsteller aus Deutschland. Er sitzt wieder mal beim Frühstück.«
    »Es ist halb acht abends! Wie kann er da beim Frühstück sitzen?«
    »Das müssen Sie ihn fragen, Giulietta«, erwiderte Claudio mit einem raschen Blick zum Nebentisch. »Die Leute sagen, er schläft tagsüber und arbeitet bei Nacht. Sieht er nicht aus wie ein Kirchenfürst aus dem sechzehnten Jahrhundert?«
    Während Juliette die Speisekarte studierte, blickte sie über den Kartenrand, musterte das imponierende, barocke Äußere des Mannes und mußte Claudio recht geben.
    Natürlich bestellte sie das ›beste Fritto misto in ganz Rom‹ und auf Claudios Empfehlung einen Castelli-Wein aus den Albaner Bergen.
    Die Nacht senkte sich über die Piazza Navona. Obwohl noch früh im Jahr, herrschten beinahe frühlingshafte Temperaturen.
    Juliette konnte sich nicht satt sehen an den Häusern und Kirchen, die den Platz wie eine überdimensionale Pappkulisse umgaben.
    »Wir Italiener sind verliebt in unsere Plätze«, sagte Claudio, der Juliettes bewundernde Blicke auffing, »deshalb heißt es bei uns auch die Piazza. Bei euch Deutschen ist es der Platz. Das ist wohl auch der

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