Purpurschatten
ungestraft fortgehen. Wie benommen fuhr er mit dem Lift nach unten.
Aus, hämmerte es in seinem Gehirn, es ist alles aus.
Vom Portier ließ er sich seine Reisetasche aushändigen, die er dem Mann zur Verwahrung gegeben hatte. Dann verließ er das Hotel und ging zu einem der wartenden Taxis.
Der Fahrer kam ihm entgegen, nahm ihm die Tasche ab und überfiel ihn mit einem Redeschwall, von dem Brodka nur den letzten Satz mitbekam: »Wohin wollen Sie, Signore?«
Brodka nahm neben dem Fahrer Platz. »Fahren Sie ein bißchen durch die Stadt und dann zum Hotel zurück«, sagte er müde.
Der Fahrer, ein nach Zigarettenrauch stinkender Endfünfziger mit gelben Fingerkuppen, nickte und fuhr los.
Brodka lehnte sich im Sitz zurück. Er war innerlich so aufgewühlt, daß er die Fahrt gar nicht richtig mitbekam. An der Porta Pinciana, wo die Via Véneto endet, bog der Fahrer nach rechts ab und fuhr in einem weiten Kreis durch die Stadt. Brodka wußte nicht zu sagen, wie lange er unterwegs gewesen war, als das Taxi zum Ausgangspunkt der Fahrt zurückkehrte, dem Hotel Excelsior.
Brodka blieb neben dem Fahrer sitzen und dachte nach. Schließlich bezahlte er das Fahrgeld und kehrte samt seinem Gepäck ins Excelsior zurück.
Die Hotelhalle war in schwarzgrünem Marmor gehalten. Trotz der mitternächtlichen Stunde herrschte noch reger Betrieb. Brodka suchte nach einer stillen Ecke, von der aus er das gesamte Foyer im Blickfeld hatte und steuerte geradewegs auf eine Sitzgruppe neben der Bar zu, als Juliette ihm entgegenkam.
»Ich habe mir unser Wiedersehen anders vorgestellt«, sagte Brodka.
»Ich …«, begann Juliette und verstummte.
Schweigend standen sie sich gegenüber.
»Wollen wir uns nicht setzen?« meinte Brodka schließlich und ging, ohne ihre Antwort abzuwarten, zur Sitzgruppe. Höflich wartete er, bis Juliette Platz genommen hatte; dann setzte er sich.
Juliette sagte noch immer kein Wort.
Brodka räusperte sich. Noch ehe er eine umständliche Einleitung fand, nahm Juliette ihm die Sorge ab.
»Ich habe das nicht gewollt«, sagte sie, »ich wollte dich nicht betrügen, denn ich liebe dich, Brodka. Ich liebe dich wirklich, auch wenn du ein Scheusal bist. Aber es ist nun mal passiert. Soll ich mich jetzt entschuldigen? Soll ich sagen: Verzeih mir, daß ich mit einem anderen geschlafen habe?«
Brodka starrte vor sich hin.
»Es war wie eine Ohrfeige«, sagte Brodka leise. »Aber wahrscheinlich muß einer wie ich sich so etwas gefallen lassen.«
»Rede keinen Unsinn!« erwiderte Juliette heftig. »Ja, ich habe einen Mann kennengelernt und zweimal mit ihm geschlafen. Vielleicht aus Enttäuschung … oder sogar aus Rache. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ihr mich gedemütigt habt, Collin und du, als ihr wie Pferdehändler um mich gewürfelt habt.«
»Ich war betrunken«, murmelte Brodka.
»Oh, das kenne ich! Das kenne ich zur Genüge. ›Ich war betrunken.‹ Die bequemste aller Ausreden. Sie hängt mir allmählich zum Hals heraus. Seit ich Collin kenne, dient sie ihm als bequeme Entschuldigung für alles und jedes. Und jetzt fängst du auch damit an. Ich kann es nicht mehr hören!«
»Du hast ja recht«, gab Brodka zu. »Aber war das ein Grund, fortzulaufen und mit dem erstbesten Gigolo ins Bett zu gehen? Es ist noch gar nicht lange her, da hast du mich gefragt, ob ich dich heiraten will.«
»Hör auf, mir moralische Vorschriften zu machen. Habe ich dir je zum Vorwurf gemacht, daß du es in Wien mit dieser Prostituierten treiben wolltest? Glaubst du, das hätte nicht weh getan?«
Es war Juliettes Stärke, jede Verteidigung zum Angriff zu nützen, eine bei Frauen nicht seltene Eigenheit. Das verstand sie meisterlich. Aber wenn Brodka ehrlich war, mußte er eingestehen, daß Juliette recht hatte. Nach allem, was vorgefallen war, durfte er ihr zuallerletzt Vorwürfe machen.
Bisher hatte Juliette ihm nie Anlaß gegeben, ihr Vorwürfe zu machen. Er hielt sie für treu und wußte, daß sie sich sogar ihrem Ehemann verweigerte – so das überhaupt nötig war –, und in diesem Bewußtsein hatte er sich in Sicherheit gewiegt. Er hatte gar nicht in Erwägung gezogen, daß Juliette fremdgehen könnte. Nun, da er sie in flagranti ertappt hatte, spürte er, wie sehr so etwas schmerzte. Es zeigte ihm aber auch, wie sehr er diese Frau liebte.
»Weshalb bist du in Rom?« riß ihn Juliettes Stimme aus seinen Gedanken.
»Weil es viel zu bereden gibt«, erwiderte Brodka schließlich. Und nach einer Pause: »Collin
Weitere Kostenlose Bücher