Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
nicht gerechnet.
    »Halten Sie das für den richtigen Weg«, sagte er schließlich, »Juliette zurückzubekommen?«
    »Natürlich nicht«, entgegnete Collin, »aber wenn ich sie nicht halten kann, soll sie keiner haben. Sie am allerwenigsten.«
    »Sie hatten sich den Verlauf des Abends offenbar anders vorgestellt.«
    »Das kann man wohl sagen. Ich glaube, Juliette hat mich von Anfang an durchschaut, als sie den Rotwein auftischte. Und Sie und ich … wir haben uns wie dumme Kinder aufgeführt. Oder haben Sie inzwischen vergessen, wie wir um Juliette gewürfelt haben?« Er lachte künstlich.
    »Tut es Ihnen leid, daß Sie nicht geschossen haben?«
    Collin trat ans Fenster und blickte hinaus. »Wissen Sie, Herr Brodka, dazu gehört eine ganze Portion Mut.«
    »Und der hat Sie im letzten Augenblick verlassen?«
    Collin drehte sich um und blickte Brodka schweigend an.
    Der schüttelte den Kopf. »Sie wären also bereit, das alles hier aufzugeben?« Er machte eine ausladende Handbewegung.
    Collin ließ Brodka nicht aus den Augen. Sein Mund war schmal wie ein Strich. Brodka fühlte, wie es in Collin arbeitete; er erwartete keine Antwort auf seine Frage.
    Collin meinte es ernst. Todernst.
    Auf dem Schreibtisch lag noch immer die Pistole. Beide Männer waren gleich weit von der Waffe entfernt. Und jeder haßte den anderen. Sie belauerten sich wie wilde Tiere vor dem Sprung.
    Die Nerven des Professors lagen blank. Man sah es ihm an. Ein heftiges Zucken um den rechten Mundwinkel verriet seine Anspannung. Dagegen wirkte Brodka gelassen. Er schien sich seiner Sache sicher. Sein Atem ging heftig, aber ohne Hast. Collin glaubte ein feines, süffisantes Lächeln um Brodkas Mund zu erkennen.
    In Gedanken rekapitulierte Collin die Ladung seiner Pistole. Sechs Schuß, Kaliber neun Millimeter. Genug, um seinen Todfeind zu erschießen und anschließend sich selbst. Brodka durfte ihm nur nicht zuvorkommen. Wirre Gedanken schossen durch Collins Hirn. Wer jetzt zuerst die Hand an der Waffe hat, sagte er sich, wird den anderen töten. Der Langsamere wird sterben. Der Schnellere wird seinen Tod selbst bestimmen. Zupacken, spannen, abdrücken! hämmerte es in seinem Kopf.
    Blitzschnell faßte Collin zu. Er sprang auf, wich zwei Schritte zurück und nahm mit ausgestreckten Armen Brodkas Kopf ins Visier. Er spannte den Abzug mit dem rechten Daumen. Und mit hysterischer, beinahe krächzender Stimme rief er: »Es ist aus, Brodka. Aus!« Dann schloß er die Augen und drückte ab.
    Die Pistole gab ein klickendes Geräusch von sich. Collin spannte erneut, drückte ein zweites Mal ab, ein drittes, viertes Mal. Dann gab er auf.
    Brodka erhob sich vom Stuhl. Er griff in die Jackentasche und streckte Collin seine Faust entgegen. Als er sie öffnete, lagen sechs Neun-Millimeter-Patronen in seiner Hand.
    Für ein paar Augenblicke stand Collin bewegungslos da. Dann hob er die Pistole über den Kopf und schleuderte sie mit Wucht in einen Glasschrank, daß dieser lärmend in sich zusammenfiel. Die Waffe prallte ab und blieb mitten im Zimmer liegen.
    Der Klirren und Poltern rief zuerst die Sekretärin, dann Pfleger und Schwestern ins Zimmer, die sich aufgeregt durch die Tür drängten. Doch niemand konnte sich einen Reim darauf machen, was zwischen den beiden Männern vorgefallen war.
    Collin stand am Fenster. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und starrte ins Nichts.
    Brodka wandte sich zum Gehen. Er schaute Collins Mitarbeiter an, wies mit einer Kopfbewegung erst auf den Professor, dann auf die am Boden liegende Pistole und meinte: »Er wollte mich erschießen. Aber es ist ihm nicht geglückt.«
    Das Klinikpersonal umringte den Professor, der keine Regung zeigte. Die Sekretärin rief nach dem Oberarzt; dem Herrn Professor gehe es nicht gut. Im Nu herrschte Chaos in Collins Zimmer.
    Unbemerkt verließ Brodka die Klinik.
    Die ganze Tragweite des Geschehens wurde Brodka erst klar, als er nach Hause kam, sich in einen Sessel setzte und versuchte, Ruhe in seine Gedanken zu bringen.
    Collin wollte ihn tatsächlich erschießen. Brodka hätte nie geglaubt, daß die Hemmschwelle, einen Menschen zu töten, so niedrig sein könnte. Nun wußte er, wie gefährlich Collin war. Ein Mann, dem sein Leben gleichgültig geworden war und der deshalb keinerlei Skrupel kannte. Er würde es wieder versuchen.
    Brodka schenkte sich einen Cognac ein. Er setzte gerade den Schwenker an die Lippen, als das Telefon summte.
    Am anderen Ende meldete sich Hagen von der dpa.

Weitere Kostenlose Bücher