Purpurschatten
das Grab leer ist? Gewißheit? Keinesfalls. Dann muß ich damit rechnen, daß mein Erbe gesperrt wird. Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber vielleicht liegt die Lösung des Falles gar nicht in München oder in Wien verborgen, sondern hier in Rom.«
Schweigend schauten Brodka und Juliette sich an. Wie sollten sie sich in dieser Lage verhalten? Wenn sie Fasolino mit ihrem Wissen um seine Vergangenheit konfrontierten, mußten sie damit rechnen, daß er alles unternahm, um Spuren zu beseitigen. Dann würde es noch schwieriger werden, Beweise zu finden. Nein, Fasolino sollte sich – zumindest vorerst – in Sicherheit wiegen, den perfekten Fälscher-Coup gelandet zu haben.
Brodka gähnte und schaute auf die Uhr. Es war halb eins. »Ich bin hundemüde«, sagte er.
»Du kannst …«, begann Juliette vorsichtig. Weiter kam sie nicht.
»Nein, danke. Ich nehme mir hier im Hotel ein eigenes Zimmer.«
Brodka erhob sich, gab Juliette einen flüchtigen Kuß auf die Wange und ging zur Portiersloge.
Und Juliette erkannte, daß Brodka ihr dieses Abenteuer noch lange nicht verziehen hatte.
Am nächsten Morgen wurde Juliette vom Telefon geweckt. Verschlafen hob sie ab. Sie glaubte es sei Brodka. Statt dessen meldete sich der Portier. Ein Signore Carracci warte in der Halle und wolle sie sprechen. Es sei wichtig.
Carracci, überlegte Juliette. Einen Mann dieses Namens kannte sie nicht – doch im selben Augenblick dachte sie sich, daß es nur Claudio sein konnte. Bestimmt hatte er einen falschen Namen angegeben, um nicht aufzufallen.
»Ich komme«, antwortete sie knapp und legte auf.
Claudio! Ihn konnte sie jetzt am allerwenigsten brauchen. Der Blick in den Spiegel zeigte Juliette eine unausgeschlafene, ungeschminkte Frau. Mit dem nassen Handtuch wischte sie sich übers Gesicht, fuhr mit der Bürste durch ihr Haar, zog sich hastig an und begab sich nach unten.
Die Hotelhalle roch nach kaltem Rauch. Im Hintergrund summte ein Staubsauger. Juliette hielt nach Claudio Ausschau. Doch an seiner Stelle trat ein alter Mann auf sie zu.
»Entschuldigen Sie die frühe Störung, Signora. Mein Name ist Arnolfo Carracci. Es war mir leider nicht möglich, Sie zu einem anderen Zeitpunkt aufzusuchen. Trotzdem bitte ich Sie, mich anzuhören. Ich glaube, es ist wichtig für Sie.«
Arnolfo Carracci? Juliette hatte den Namen nie gehört. Der Mann mit dem silbergrauen Kraushaar machte einen freundlichen Eindruck; eine Freundlichkeit, die nicht darüber hinwegtäuschen konnte, daß sich hinter seiner liebenswürdigen Maske eine gewisse Melancholie, wenn nicht Trauer verbarg.
»Sind Sie sicher, Signore Carracci, daß Sie mich meinen?« fragte Juliette verwundert.
»Gewiß«, antwortete der Alte mit einem feinen Lächeln, »ich bin der Hausdiener von Signore Fasolino.«
Juliettes erste Reaktion auf das Geständnis des Mannes war, daß die schwelende Wut auf Alberto Fasolino in ihr hochkochte. Dennoch versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen, als sie fragte: »Und? Was will Fasolino von mir?«
Carracci, der bisher höflichen Abstand zu Juliette gewahrt hatte, trat einen Schritt näher und sagte in ruhigem Tonfall: »Signora, damit Sie sich keine falschen Vorstellungen machen, ich komme nicht im Auftrag von Signore Fasolino. Im Gegenteil, ich komme ohne sein Wissen, und ich bitte Sie, um alles in der Welt, niemandem von unserer Begegnung zu berichten. Ich habe meine Gründe, Signora.«
Die Worte des Dieners verwirrten Juliette, und sie brauchte eine Weile, bis sie sich mit der Situation zurechtfand. Schließlich bat sie Fasolinos Diener in den hinteren Teil der Halle, wo sie sich ungestört unterhalten konnten.
»Woher kennen Sie mich, Signore Carracci?«
»Sagen Sie Arnolfo zu mir, Signora. Ich bin es gewöhnt, mit dem Vornamen angeredet zu werden. Alles andere klingt für mich fremd.«
»Also gut, Arnolfo. Woher kennen Sie mich?«
»Wissen Sie, Signora, mir entgeht nichts, was im Hause Fasolino vor sich geht. Ich kenne die Herrschaften besser, als sie sich selbst kennen. Seit nunmehr 35 Jahren stehe ich in Signora Anastasias Diensten. Sie brachte mich gleichsam mit in die Ehe. Wie sagt man? Ich gehöre zum Inventar. Aber wie es mit alten Sachen nun einmal ist … irgendwann hat man sie über, und man will neue. Dann räumt man die alten beiseite und vergißt allzu schnell, welch gute Dienste sie einem geleistet haben. In einer solchen Situation befinde ich mich. Signora Anastasia hat einen jungen Hausdiener eingestellt.
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