Pyramiden
ihm Gelegenheit, die beiden Einbalsamierer besser kennenzulernen.
Eigentlich seltsam. Während seines ganzen Lebens im Königreich hatte sich Teppicymon darauf beschränkt, mit Priestern zu reden. Er zweifelte kaum daran, daß es auch noch andere Leute gab – Diener, Gärtner und so weiter –, aber aus seiner Perspektive betrachtet waren es nur Kleckse. Er stand ganz oben: Unter ihm kamen: Familie, Priester, Adlige – und Kleckse. Oh, es gab natürlich nichts an ihnen auszusetzen. Fraglos handelte es sich um hervorragende Kleckse, die besten, die sich ein Pharao als Untertanen wünschen konnte. Aber es blieben Kleckse.
Jetzt nahm er zum ersten Mal Anteil an einem klecksigen Leben. Er erfuhr von Dils scheuen Hoffnungen auf eine Karriere in der Gilde, von Gerns Versuchen, Glwenda zu gefallen, der Tochter eines Knoblauchbauern. Mit fasziniertem Erstaunen erfuhr er von einer Welt, in der ebenso subtile Unterschiede in Rang und Status existierten wie im Universum des Palastes. Die interessantesten Fragen lauteten: Würde es Gern gelingen, das Wohlwollen von Glwendas Vater zu gewinnen, auf daß er seine Angebetete endlich ins eheliche Schlafzimmer führen konnte? Leistete Dil so gute Arbeit – an mir, dachte Teppicymon –, daß ihn die Gilde der Einbalsamierer und Artverwandter Berufe mit dem Orden Höchst Gepriesener Neunzig-Grad-Abweichung Vom Kohlensauren Natron-Quartier ehrte?
Seltsam: Der Tod kam einer Lupe gleich, unter der ein winziger Wassertropfen seinen komplexen Mikrokosmos offenbarte.
Teppicymon fühlte die immer stärker werdende Versuchung, Dil in die Grundregem der Politik einzuweihen und Gern auf die Vorteile von Körperhygiene und sauberer Kleidung hinzuweisen. Mehrmals versuchte er, sich den Einbalsamierern mitzuteilen. Was seine Präsenz betraf … Sie spürten etwas, kein Zweifel. Aber sie glaubten schlicht und einfach, es sei zugig in der Kammer.
Der Pharao sah, wie Dil zum Tisch trat, mit einem dicken Musterbuch für Binden zurückkehrte und es nachdenklich an jenes Objekt hielt, das Teppicymon widerstrebend als seine Leiche anerkannte.
»Leinen«, sagte der Meister. »Das Leinen steht ihm gut.«
Gern neigte den Kopf zur Seite.
»Wie wär’s mit Hanf und Jute?« schlug er vor. »Oder vielleicht Kattun …«
»Nein, kein Kattun. Kattun kommt nicht in Frage. Zu dick. Zu grob.«
»Er könnte hineinmodern. Mit der Zeit.«
Dil schnaufte abfällig: »Hineinmodern?« wiederholte er. »Hineinmodern? Mit der Zeit. Ich frage dich: Was mag geschehen, wenn in tausend Jahren Grabräuber hierherkommen und Teppicymon der Siebenundzwanzigste in Kattun liegt? Vielleicht gelänge es ihm, durch den Korridor zu wanken und einen Frevler zu erwürgen, aber dann fielen bestimmt die Binden ab. Zumindest die Ellbogen kämen frei, und so etwas darf auf keinen Fall passieren. Ich könnte es nicht ertragen.«
»Aber in tausend Jahren bist du tot, Meister!«
»Tot? Was hat das denn damit zu tun?« Dil blätterte in dem dicken Buch. »Hanf und Jute sind nicht übel. Eine Menge Spielraum. Gute Dehnungseigenschaften. Damit kann er durch die Gänge laufen, wenn’s nötig wird.«
Der Pharao seufzte. Er hätte einen leichteren Stoff vorgezogen, zum Beispiel Taft.
»Und mach endlich die Tür zu«, sagte Dil. »Hier drin zieht’s.«
»Und nun wird es Zeit; daß wir unseren verstorbenen Vater besuchen«, sagte Dios. Er gestattete sich ein dünnes Lächeln. »Bestimmt freut er sich bereits darauf.«
Teppic überlegte. Die Vorstellung, einen ausgestopften, mit Binden umwickelten Leichnam zu betrachten, stimmte ihn keineswegs fröhlich, aber vielleicht hielt ein derartiges Ritual den Hohenpriester davon ab, ihm vorzuschlagen, irgendwelche Verwandten zu heiraten. Er hoffte, königliche Würde zu zeigen, als er sich bückte, um eine der Palastkatzen zu streicheln. Das Tier schnüffelte an der Hand, dachte angestrengt nach – es verdrehte dabei die Augen – und biß ihn in den Zeigefinger.
Teppic fluchte hingebungsvoll.
»Katzen sind heilig«, sagte Dios schockiert.
»Das mag bei langbeinigen Katzen mit silbrig glänzendem Fell und gelangweilten Mienen der Fall sein«, erwiderte Teppic. »Aber diese besondere Spezies … Ich bin sicher, heilige Katzen lassen keine toten Ibisse unter dem Bett liegen. Heilige Katzen, denen draußen genug Sand zur Verfügung steht, kommen nicht herein, um ihre Geschäfte auf den königlichen Sandalen zu erledigen.«
»Katzen sind Katzen«, sagte Dios vage. Und: »Wenn wir jetzt
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