Pyramiden
so freundlich wären, uns zu folgen …« Er deutete auf einen fernen Torbogen.
Teppic folgte dem Hohenpriester langsam. Er schien seit hundert Jahren hier zu Hause zu sein, aber es gelang ihm nicht, sich wohl zu fühlen. Die Luft war zu trocken, die Kleidung zu unbequem, die Temperatur zu hoch. Selbst mit den Gebäuden schien etwas nicht in Ordnung zu sein. Man nehme nur die Säulen. Die Säulen in seiner Heima … Ähem. Die Säulen der Gilde wiesen hübsche Kannelierungen, marmorne Trauben und andere Verzierungen auf. Die djelibebische Version bot dem Auge des Betrachters birnenförmige Haufen dar, deren steinerne Masse sich im unteren Bereich konzentrierte.
Mehrere Diener setzten sich in Bewegung und trugen verschiedene zeremonielle Gegenstände.
Teppic versuchte, Dios’ Gangart nachzuahmen, und nach einer Weile erinnerte sich sein Körper. Ganz einfach: Man neigte den Oberkörper hierhin, drehte den Kopf dorthin, hielt die Arme in einem Winkel von fünfundvierzig Grad ausgestreckt, wobei die Handflächen nach unten zeigten – und versuchte dann, das Gleichgewicht zu wahren und nicht die Orientierung zu verlieren.
Der Amtsstab des Hohenpriesters pochte immer wieder auf die Fliesen. Ein barfüßiger Blinder hätte sich bestens im Palast zurechtfinden können: Er brauchte nur den kleinen Dellen im Boden zu folgen.
»Ich fürchte, wir werden feststellen, daß sich unser Vater seit der letzten Begegnung ein wenig verändert hat«, sagte Dios im Plauderton, als sie an einem Gemälde vorbeiwogten – auf dem Bild empfing Königin Khaphut den Tribut aller Königreiche der Welt.
»Nun, ja«, antwortete Teppic. Dios’ Tonfall überraschte ihn ein wenig. »Er ist tot, nicht wahr?«
»Das kommt hinzu«, bestätigte der Hohepriester. Teppic begriff, daß sich Dios’ Worte nicht auf so banale Dinge wie den gegenwärtigen physischen Zustand Seiner Majestät bezogen.
Mit entsetzter Bewunderung starrte er auf den Rücken des alten Mannes. Dios war keineswegs grausam oder gleichgültig. Offenbar hielt er den Tod für eine ärgerliche Sandbank im ewigen Strom des Lebens: Der Umstand, daß Menschen starben, stellte für den Hohenpriester nur eine Unannehmlichkeit dar, eine Unterbrechung in der allgemeinen Routine.
Was für eine seltsame Welt, dachte Teppic. Schattenhaft, ohne jeden Wandel. Und ich bin Teil davon.
»Wer ist das?« fragte er und deutete auf ein besonders großes Fresko. Es zeigte einen hochgewachsenen Mann mit schornsteinartigem Hut und einem Bart, der wie ein Seil wirkte. Er stand in einem Streitwagen, der über Dutzende von kleineren Menschen hinwegrollte.
»Der Name steht in der Umrahmung«, sagte Dios geziert.
»Wo?«
»In dem kleinen Oval, Gebieter.«
Teppic beugte sich vor und starrte auf die Hieroglyphen.
»›Dünner Adler, Auge, Schlangenlinie, Mann mit Stock, sitzender Vogel, Schlangenlinie‹«, las er. Der Hohepriester schnitt eine Grimasse.
»Ich glaube, wir müssen uns mehr mit dem Studium moderner Sprachen beschäftigen«, sagte er und atmete tief durch. »Er heißt Pta-ka-ba. Er ist König, als das Djel-Reich vom Runden Meer bis zum Ozean am Rand reicht, als uns fast der halbe Kontinent Tribut leistet.«
Teppic begriff plötzlich, warum ihm die Ausdrucksweise des Hohenpriesters so seltsam erschien. Dios neigte zu verbalgrammatikalischer Akrobatie, wenn es darum ging, eine Vergangenheitsform zu vermeiden. Er deutete auf ein anderes Gemälde.
»Und die Frau dort?« fragte er.
»Sie ist Königin Khat-leon-ra-pta«, sagte Dios. »Sie herrscht im Zweiten Reich und erobert das Wiewunderland mit Schläue.«
»Aber sie ist tot, oder?« erkundigte sich Teppic.
»Das scheint der Fall zu sein«, erwiderte Dios nach einer kurzen Pause. Ja, er zog das Präsens vor.
»In Ankh-Morpork habe ich sieben Sprachen gelernt«, sagte Teppic und dachte erleichtert daran, daß die Benotungen in drei Fällen ein Geheimnis der Gilde blieben.
»Tatsächlich, Gebieter?«
»Ja. Morporkianisch, Vanglemeschtisch, Ephebisch, Laotanisch und … einige andere.«
»Oh.« Dios nickte, lächelte und ging durch den Korridor. Er hinkte ein wenig, aber sein Schritt war trotzdem wie das Ticken von Jahrhunderten. »Die Sprachen der barbarischen Länder.«
Teppic musterte seinen Vater. Die Einbalsamierer hatten wirklich gute Arbeit geleistet und warteten auf ein Lob.
Ein Teil von ihm, der noch immer in Ankh-Morpork lebte, sagte laut: Dies ist eine Leiche, und das Umwickeln mit Binden holt den Toten bestimmt
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