Pyramiden
haben, ziehe ich mich jetzt zur Nachtruhe zurück. Es war ein langer Tag.«
Dios verneigte sich so, als wiese seine Gestalt irgendwo in der Mitte Angeln auf. Teppic hatte bereits bemerkt, daß der Hohepriester mindestens fünfzig verschiedene Versionen des Verneigens beherrschte, und jede einzelne vermittelte eine subtile Botschaft. Diese sah aus wie Nummer Drei, Ich bin Ihr demütiger Diener.
»Außerdem ein sehr guter und angenehmer Tag, wenn ich das hinzufügen darf, Gebieter.«
Teppic kramte in den Schubladen seines Vokabulars. »Glauben Sie?« fragte er schließlich.
»Die Wolkenmuster beim Sonnenaufgang zeichneten sich durch einen ganz besonderen ästhetischen Aspekt aus. Sie verstehen Ihr Handwerk, Gebieter.«
»Sind Sie sicher?« Teppic überlegte. »Muß ich auch einen, äh, Beitrag zum Sonnenuntergang leisten?«
»Seine Majestät beliebt zu scherzen«, sagte Dios. »Die Sonne geht von allein unter, Gebieter. Haha.«
»Haha«, wiederholte Teppic.
Dios ließ seine Fingerknöchel knacken. »Der Trick besteht darin, sie morgens über den Horizont zu locken.«
Die von Knoten hinterlassenen, inzwischen vergilbten Schriftrollen behaupteten, die große orangefarbene Sonne werde jeden Abend von der Himmelsgöttin Was verspeist. Angeblich ließ sie nur einen kleinen Teil übrig, aus dem während der Nacht eine neue Sonne für den nächsten Morgen wachsen konnte. Dios wußte, daß dies den Tatsachen entsprach.
Im Buch Der Grube In Der Man Bleiben Soll stand geschrieben, die Sonne sei das Auge von Yay: Jeden Tag krieche es über den Himmel, auf der endlosen Suche nach den Zehennägeln. 15 Dios wußte, daß dies der Wahrheit gerecht wurde.
Bei den geheimen Ritualen des Rauchenden Spiegels ging es um eine Sonne, die ein rundes Loch in einer sich drehenden blauen Seifenblase darstellte. Die Blase gehörte zum Körper der Göttin Nesch, und das Sonnenloch gewährte einen Blick in die Feuerwelt im Innern des göttlichen Leibs. Die Sterne waren winzige Öffnungen, durch die es regnete. Dios zweifelte nicht an dieser Realität.
Volkssagen erklärten die Sonne als eine Kugel aus Feuer, die jeden Tag um die Welt kreiste. Außerdem schilderten sie die Welt als gewaltige Scheibe, die auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte durch die immerwährende Schwärze des Universums getragen wurde. Es fiel Dios nicht unbedingt leicht, sich mit einer solchen Vorstellung anzufreunden, aber er wußte trotzdem, daß sie die Wirklichkeit erklärte.
Des weiteren wußte Dios, daß Net der Oberste Gott war, ebenso wie Fon. Und natürlich auch Hast, Set, Bin, Sot, Io, Dhekl und Ptooie. Er wußte, daß Herpetin Dreibein ganz allein in der Totenwelt regierte und ihren Thron mit folgenden heiligen Entitäten teilte: Synkope, dem welsköpfigen Silur und Jetztbistdudran, der Göttin aller nymphomanischen Ehefrauen.
Dios war der höchste Hohepriester einer Nationalreligion, die siebentausend Jahre lang gegärt und gebrodelt hatte, ohne jemals einen Gott abzuweisen – schließlich konnte er sich irgendwann einmal als nützlich erweisen. Er wußte, daß viele widersprüchliche Dinge stimmten. Andernfalls hätten Ritual und Glauben ihre Bedeutung verloren, und wenn so etwas geschah, drohte das Ende der Welt. Eine derartige Denkweise führte dazu, daß es in den Gedanken der djelibebischen Priester Platz für viele unterschiedliche Ideen gab. Sie stellten eine intellektuelle Anpassungsfähigkeit unter Beweis, die selbst einen Quantenmechaniker überfordert hätte.
Dios’ Stab klopfte über die marmornen Fliesen, als er durch dunkle abgelegene Korridore hinkte und kurz darauf eine kleine Anlegestelle erreichte. Unbeholfen kletterte er in ein Boot, löste die Leine und ruderte über den finsteren Djel.
Kälte kroch dem Hohenpriester durch Hände und Füße. Ich bin wirklich ein Narr gewesen, dachte er. Warum habe ich so lange gewartet?
Das Boot neigte sich auf den Wellen hin und her; die Schwärze der Nacht verschlang das letzte Licht der untergegangenen Sonne. Am anderen Ufer gehorchten die Pyramiden uralten Gesetzen, und ihre Entladungsblitze flackerten gen Himmel.
Es flackerte auch im Haus von Ptaclusp & Co., Nekropolis-Architekten In Diensten Der Dynastien. Allerdings stammte das Licht von gewöhnlichen Fackeln. Der Vater und seine beiden Söhne saßen an einer großen Wachstafel und führten ein sehr angeregtes Gespräch.
»Es geht nicht darum, wann der Pharao bezahlt, sondern ob«, sagte Ptaclusp IIa. »Ich meine, es spielt
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