Pyramiden
Ptraci.
»Was?«
»Wenn ich dort drin liegen soll, brauche ich ein Kissen.«
»Vielleicht genügen Holzspäne.« Teppic sammelte einige ein. »Beeil dich jetzt! Bitte!«
»Na schön. Aber du kehrst zurück, nicht wahr? Versprichst du es mir?«
»Ja, ja! Ich verspreche es!«
Teppic legte einen Holzkeil auf die Kante, schob den schweren Deckel zurecht und vergewisserte sich, daß er den Sarkophag nicht ganz verschloß. Dann wirbelte er herum und lief los.
Das Phantom des verstorbenen Pharaos starrte ihm hinterher.
Die Sonne ging auf. Als ihr goldenes Licht über das fruchtbare Djel-Tal strömte, verblaßten die Entladungsblitze der Pyramiden und verwandelten sich in ein geisterhaftes Flackern vor dem heller werdenden Himmel. Die Lautlosigkeit ging zu Bett, und erste Geräusche erwachten. Um genau zu sein: Ein ganz bestimmtes Geräusch hatte nicht geruht. Während der Nacht gelang es ihm mit routiniertem Geschick, sich der Aufmerksamkeit sterblicher Ohren zu entziehen, doch jetzt verließ es seinen Schlupfwinkel in den entlegensten Bereichen des Ultraschalls …
KKKkkkkkkhhheeee …
Ein Schrei, der vom Himmel herabwimmerte. Es klang so, als ziehe jemand gleich mehrere Geigenbögen über den wunden Stirnlappen eines Gehirns.
kkkhheeeeeee …
Oder wie ein feuchter Fingernagel, der über einen freigelegten Nerv strich, wie manche Leute meinten. Man hätte die Uhr danach stellen können, behaupteten andere – obwohl niemand wußte, was eine Uhr war.
… keeee …
Das Geräusch wurde immer dumpfer, als das Sonnenlicht über die Steine tröpfelte. Wie das Heulen einer Katze, das allmählich dem Knurren eines Hundes wich.
… ee … ee … ee …
Letzte Entladungsblitze glühten. Und dann …
… uff.
»Ein herrlicher Morgen, Gebieter. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.«
Teppic winkte Dios zu, gab jedoch keinen Ton von sich. Der Friseur vollführte gerade das Ritual des Unter Dem Kinn Müssen Die Bartstoppeln Weg.
Und der Mann zitterte. Bis vor kurzer Zeit war er ein einhändiger arbeitsloser Steinmetz gewesen, doch dann befahl ihm der schreckliche Hohepriester, zum königlichen Friseur zu werden, was natürlich bedeutete, daß man den heiligen Pharao berühren mußte, aber in diesem Fall sei das völlig in Ordnung, meinten die Priester, er brauche nicht zu befürchten, weitere Gliedmaßen zu verlieren, und außerdem müsse er es als große Ehre empfinden, mit nur einer Hand für den Bart des Himmlischen Gebieters verantwortlich zu sein. Natürlich gab es gewisse Berufsrisiken …
»Sie sind in keiner Weise gestört worden?« fragte Dios. Sein argwöhnischer Blick kroch in alle Ecken des Zimmers, und es war erstaunlich, daß die Steine weder zurückwichen noch schmolzen.
»Waahh …«
»Wenn Sie bitte stillhalten würden, o Ewig Lebender Herrscher«, sagte der Friseur im Tonfall eines Mannes, dem eine Reise durch den Verdauungstrakt eines Krokodils bevorsteht, wenn das Rasiermesser ins königliche Kinn schneidet.
»Haben Sie keine seltsamen Geräusche gehört, Gebieter?« erkundigte sich Dios. Er trat ganz plötzlich zurück, um hinter den vergoldeten Pfauenschirm auf der anderen Seite des Zimmers zu sehen.
»Neeiin.«
»Seine Majestät ist heute morgen ein wenig blaß«, sagte Dios. Er nahm auf der Bank Platz, zwischen zwei marmornen Geparden. Normalerweise durfte niemand in der Präsenz des Pharaos sitzen – das war nur bei Zeremonien gestattet –, aber der Hohepriester bekam dadurch Gelegenheit, einen mißtrauischen Blick unter Teppics niedriges Bett zu werfen.
An Dios’ Verwirrung konnte kein Zweifel bestehen. Ebensowenig an Teppics besonders guter Stimmung, die längst den Sieg über Muskelkater und Schlafmangel errungen hatte. Er rieb sich das Kinn.
»Es liegt am Bett«, sagte er. »Ich glaube, ich habe es bereits erwähnt. Das Zauberwort heißt: Matratze. Für gewöhnlich sind Matratzen mit Federn gefüllt. Wenn Sie nicht wissen, was damit gemeint ist: Fragen Sie die Piraten von Khali. Inzwischen schlafen die meisten von ihnen auf Gänsefeder-Matratzen.«
»Seine Majestät beliebt zu scherzen«, erwiderte Dios.
Teppic wußte, daß er sich damit begnügen sollte, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen.
»Stimmt was nicht, Dios?« fragte er.
»In der vergangenen Nacht schlich ein Schurke durch den Palast. Ptraci befindet sich nicht mehr im Kerker.«
»Das ist sehr bedauerlich.«
»Ja, Gebieter.«
»Wahrscheinlich war es ein Freund oder Liebhaber von ihr oder so
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