Pyramiden
Zeitlang sah er stumm darauf herab. Das vergoldete Gesicht wirkte ganz und gar nicht vertraut.
»Eine gute Darstellung, Gebieter«, sagte Dios. »Die Ähnlichkeit ist unverkennbar.«
»J-ja«, erwiderte Teppic. »Vermutlich haben Sie recht. Er sieht wesentlich … zufriedener aus. Glaube ich.«
»Hallo, mein Junge«, sagte der verstorbene Pharao. Er wußte inzwischen, daß ihn niemand hören konnte, aber er empfand es trotzdem als angenehm, die Lebenden anzusprechen. Selbstgespräche behagten ihm nicht. Dafür blieb ihm sicher noch genug Zeit.
»Das Bildnis zeigt ihn von der besten Seite, o Herr des Himmels«, sagte der Oberste Bildhauer.
»Ich sehe aus wie eine Wachspuppe mit Hämorrhoiden.«
Teppic neigte den Kopf zur Seite.
»Ja«, bestätigte er unsicher. »Ja. Äh. Gute Arbeit.«
Er drehte sich halb um und sah erneut durch die Tür des Nebenzimmers.
Dios gab den Wächtern auf beiden Seiten des Zugangs ein Zeichen.
»Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, Gebieter …«, sagte er ölig.
»Hmm?«
»Die Suche wird fortgesetzt.«
»In Ordnung. Oh …«
Mit der Beweglichkeit eines Flamingos sprang Dios an Ptracis Sarkophag heran, griff nach dem Deckel und schob ihn zurück: »Gebt acht! Was haben wir hier gefunden?«
Dil und Gern traten neugierig näher und blickten in den Behälter.
»Holzspäne«, sagte Dil.
Gern schnupperte. »Sie riechen irgendwie komisch.«
Die Finger des Hohenpriesters trommelten auf den Deckel. Teppic hatte Dios noch nie zuvor fassungslos gesehen und beobachtete fasziniert, wie er die Seiten des Sarkophags abklopfte. Offenbar suchte er nach verborgenen Klappen.
Vorsichtig rückte er den Deckel wieder zurecht und durchbohrte Teppic mit seiner Aufmerksamkeit. Der junge Pharao nahm dies zum Anlaß, dankbar dafür zu sein, daß die goldene Maske keinen Blick auf sein Gesicht gewährte.
»Ptraci ist nicht mehr hier«, sagte der verstorbene Teppicymon. »Sie verließ das Zimmer, als die Männer gingen, um zu frühstücken. Ich glaube, sie folgte einem Ruf der Natur.«
Ptraci kann sich nicht einfach in Luft aufgelöst haben, dachte Teppic weise. Die Frage lautet: Wo steckt sie jetzt?
Dios sah sich argwöhnisch in der Kammer um und schwang einige Sekunden lang wie eine Kompaßnadel hin und her, bevor sich sein Blick auf den Sarkophag des Pharaos richtete. Er war besonders groß. Er bot besonders viel Platz. Er fiel sofort auf.
Mit langen Schritten durchquerte der Hohepriester das Zimmer und schob den Deckel beiseite.
»Oh, Sie brauchen nicht anzuklopfen«, sagte Teppicymon XXVII. »Ich bin immer zu Hause.«
Teppic sah über Dios hohe Schulter. Niemand leistete der Mumie seines Vaters Gesellschaft.
»Ist wirklich alles in Ordnung mit Ihnen, Dios?« fragte er.
»Ja, Gebieter. Wir müssen bei der Suche sehr gründlich sein, Gebieter. Die Entflohene ist nicht hier, Gebieter.«
»Sie sehen aus, als brauchten Sie frische Luft«, sagte Teppic und rügte sich für diese Bemerkung, obwohl sie ihm bemerkenswert glatt über die Lippen kam. Ein verwirrter, desorientierter Dios bewirkte Ehrfurcht und Unbehagen, denn er ließ einen an der Stabilität des Universums zweifeln.
»Ja, Gebieter. Danke, Gebieter.«
»Setzen Sie sich. Ich sorge dafür, daß Ihnen jemand ein Glas Wasser bringt. Später inspizieren wir die Große Pyramide.«
Dios nahm Platz.
Irgend etwas knackte und splitterte.
»Er hat sich auf Grinjers Modell gesetzt«, sagte der tote Teppicymon. »Und ich dachte immer, er hätte überhaupt keinen Humor.«
Die Große Pyramide verlieh dem Wort ›massiv‹ eine ganz neue Bedeutung. Sie schuf eine weite Delle in der Landschaft. Ihr Gewicht schien die Form aller Dinge zu verändern. Teppic verglich sie mit einer Bleikugel, die den Gummistreifen des Alten Königreichs dehnte.
Das war natürlich eine verrückte Vorstellung. Die Pyramide mochte groß sein, aber neben einem Berg wirkte sie klein.
Doch alles andere verurteilte sie zu Zwergenhaftigkeit. Außerdem: Berge sollten groß sein; das Gefüge des Universums hatte sich längst daran gewöhnt. Die Pyramide hingegen war von Menschenhand geschaffen und weitaus größer, als von Menschenhand Geschaffenes eigentlich sein durfte.
Sie strahlte Kälte aus. An der schwarzen Marmorfassade glitzerte Rauhreif im bratenden Licht der Nachmittagssonne. Teppic hörte auf die Stimme des Narren in ihm und berührte eine Wand – einige Hautfetzen blieben darauf zurück.
»Sie ist eiskalt!«
»Sie sammelt bereits Energie, o Odem
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