Pyramiden
bekamen.
»Äh«, meldete sich jemand zu Wort. »Cephut könnte böse werden, oder?«
»Wir alle ehren Cephut!« riefen die Priester wie aus einem Mund. Nur für den Fall.
»Was für’n Blödsinn«, brummte ein älterer Hohepriester, der weiter hinten stand. »Ein Gott für Messer und Gabeln. Lächerlich.«
Man packte den Protestierenden und warf ihn in den Fluß.
»Wir alle ehren …« Eine kurze Pause. »Welchen Gott pries er?«
»Bunu den Ziegenköpfigen Gott der Ziegen? Nicht wahr?«
»Wir alle ehren wahrscheinlich Bunu!« riefen die Priester, als sich mehrere Krokodile wie lebende U-Boote einem recht erschrocken paddelnden Opfer näherten.
Koomi hob beschwörend die Hände. Es heißt, gewisse Umstände können das wahre Ich eines Menschen ans Tageslicht bringen. Bei Koomi hießen die Umstände Hinterlist und Durchtriebenheit. In seinem kahlen Schädel bildeten Schlußfolgerungen erste psychische Konturen; Ideen entfalteten sich wie Dinge, die viele Jahre lang in Steinen auf die Freiheit gewartet hatten. Er wußte noch nicht genau, worum es sich handelte, aber in seinen vagen Vorstellungen ging es um Götter, ein neues Zeitalter und um jemanden, der das Staatsruder fest in die Hand nehmen mußte. Außerdem sah Koomi ein mentales Bild, das ihm Dios zeigte, der den Magen eines Krokodils füllte. Freude und Entzücken vibrierten in ihm.
»Brüder!« rief er.
»Wie bitte?« zischte die Priesterin Sarduks.
»Und Schwestern …«
»Herzlichen Dank.«
»… lasset uns jauchzen!« Die versammelten Priester schwiegen erwartungsvoll. Noch nie zuvor hatten sie eine Ansprache gehört, die mit solchen Worten begann. Koomi musterte seine Kollegen nacheinander und spürte eine seltsame Aufregung. Die Männer – und Frauen – vor ihm fürchteten sich so sehr, daß sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnten, und sie hofften, daß er ihnen sagte, was es nun zu unternehmen galt.
»Fürwahr!« sagte er. »Und wahrhaftig. Die Stunde der Götter …«
»… und Göttinnen …«
»… ja, und der Göttinnen, hat, äh, geschlagen. Äh.«
Was jetzt? Was soll ich ihnen eigentlich sagen? fuhr es Koomi in einem Anflug von Verzweiflung durch den Sinn. Ich meine, Worte sind Wörter. Normalerweise teilen sie etwas mit. Oder so. Dann dachte er: Nun, eigentlich spielt es gar keine Rolle. Es kommt nur darauf an, daß ich überzeugend klinge. Der alte Dios brachte sie immer in Schwung. Er hat nicht versucht, sie zu führen. Ohne ihn sind sie völlig hilflos.
»Und noch etwas, Brüder – und Schwestern. Wir müssen uns fragen, ja, wir müssen uns fragen, ob, äh, ja.« Neue Zuversicht gab Koomis Stimme einen volleren Klang. »Ja, wir müssen uns fragen, warum die Stunde der Götter geschlagen hat. Zweifellos liegt es daran, daß wir mit unseren Gebeten nicht gewissenhaft genug gewesen sind. Wir, äh, haben Götzenbilder verehrt. Äh.«
Die übrigen Priester wechselten erstaunte Blicke. Sie hatten Götzenbilder verehrt? Im Ernst? Wie stellte man so etwas an?
»Und, ja, was ist mit Opfern? Früher einmal waren Opfer richtige Opfer, kein Herumwerkeln mit Hühnern und Blumen.«
Irgendwo hüstelte jemand.
»Sprechen wir vielleicht von Jungfrauen?« fragte einer der Priester unsicher.
»Ähem.«
»Und eventuell auch von unerfahrenen jungen Männern?« fügte der Priester hastig hinzu. Sarduk gehörte zu den älteren Göttinnen, und die meisten Verehrerinnen teilten ihr Erscheinungsbild, eigneten sich daher kaum für den Opferaltar. Die Vorstellung, daß irgendwo eine Sarduk umherstapfte, deren Arme bis zu den Ellbogen blutbesudelt waren, trieb einem Tränen in die Augen.
Koomis Herz pochte lauter und schneller. »Nun, warum nicht?« fragte er. »Was hindert uns daran, die Vorteile der guten alten Zeit zu nutzen?«
»Aber, äh, ich dachte, solche Dinge seien nicht mehr an der Tagesordnung. Man denke nur an den Bevölkerungsschwund und …«
Im Fluß platschte es laut. Tzut der Schlangenköpfige Gott des Oberen Djel tauchte auf und bedachte die Priester mit einem durchdringenden Blick. Einige Sekunden später erhob sich neben ihm Fhez der Krokodilköpfige Gott des Unteren Djel. Er versuchte, Tzut den Kopf abzubeißen. Gischt sprühte, als die beiden Götter ins trübe Wasser zurückfielen, und eine Welle schwappte über den Balkon.
»Äh, aber vielleicht nahm die Bevölkerungsdichte ab, weil wir aufhörten, Jungfrauen zu opfern – damit meine ich natürlich beide Geschlechter«, sagte Koomi. »Haben Sie jemals darüber
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