QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)
Um sie berechnen zu können, sollten wir alle Wege berücksichtigen, die das Licht nehmen könnte. Jeder Weg steuert einen kleinen Pfeil bei, und wie im voraufgegangenen Beispiel sind die kleinen Pfeile allesamt ungefähr gleich lang. Wieder können wir die Zeit, die ein Photon auf den verschiedenen möglichen Wegen braucht, auf einer Kurve eintragen. Und diese Kurve nimmt einen ganz ähnlichen Verlauf wie jene, die wir für die Reflexion des Lichts an einem Spiegel erarbeitet haben: Sie fällt langsam von oben her ab und steigt allmählich wieder an; addieren wir die Pfeile, so finden sich die bedeutendsten Beiträge an den Stellen, an denen die Pfeile fast in dieselbe Richtung weisen (wo die benachbarten Wege fast die gleiche Zeit beanspruchen), und das ist um das Minimum der Kurve herum der Fall. Dort braucht das Licht auch am wenigsten Zeit, so daß es also genügt herauszufinden, für welche Wege am wenigsten Zeit erforderlich ist.
Wie sich zeigt, scheint sich Licht im Wasser langsamer auszubreiten als in der Luft (warum, werde ich in der nächsten Vorlesung erklären). Das macht den Weg im Wasser »kostspieliger« als den Weg in der Luft. Es ist nicht schwer herauszufinden, welcher Weg am wenigsten Zeit beansprucht. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Hütte der Rettungswacht (S) und sehen, wie ein wunderschönes Mädchen in D ertrinkt (Abb. 30). Sie wissen, daß Sie an Land schneller laufen als im Wasser schwimmen können. So stellt sich die Frage, an welcher Stelle Sie ins Wasser müssen, um der Ertrinkenden auf schnellstem Weg zu Hilfe zu eilen. Laufen Sie nach A, um von da auf Teufel komm heraus draufloszuschwimmen? Natürlich nicht. Aber direkt auf die Arme zuzulaufen und bei J ins Wasser zu springen, ist auch nicht der schnellste Weg. Selbstverständlich können Sie das Problem unter diesen Umständen nicht erst lange analysieren; aber es gibt eine Stelle, an der Sie mit einem Minimum an Zeit auskommen: Diese Stelle ist gewissermaßen ein Kompromiß zwischen dem direkten Weg über J und dem Weg mit dem wenigsten Wasser über N. Und genau diesen Weg über einen Punkt zwischen J und N, also etwa über L, nimmt das Licht.
Kurz streifen möchte ich noch eine andere Lichterscheinung, die Luftspiegelung. Wenn Sie an sehr heißen Tagen im Auto unterwegs sind, kann es vorkommen, daß Sie auf der Straße vor sich Wasser zu sehen glauben. In Wirklichkeit aber sehen Sie den Himmel, was sonst ja nur der Fall ist, wenn er sich in Regenpfützen spiegelt (partielle Reflexion des Lichts an einer einzigen Grenzfläche). Wie aber können Sie den Himmel auf der Straße sehen, wenn nirgends Wasser ist? Dazu müssen Sie wissen, daß sich Licht in kühlerer Luft langsamer ausbreitet als in wärmerer und daß sich der Beobachter einer Luftspiegelung in der kühleren Zone oberhalb der auf dem Straßenbelag lastenden heißen Luft befinden muß (vgl. Abb. 31). Um zu verstehen, wie es sein kann, daß man hinunter schaut und den Himmel sieht, muß man den am wenigsten Zeit beanspruchenden Weg ausfindig machen. Das überlasse ich Ihnen als ebenso unterhaltsamen wie leichten Zeitvertreib für zu Hause.
Bei den früher besprochenen Beispielen der Reflexion des Lichts an einem Spiegel und der Brechung beim Übergang des Lichts von Luft in Wasser, habe ich mich eines Näherungswertes bedient und der Einfachheit halber die verschiedenen Wege, die das Licht einschlagen konnte, als gerade Linien gezeichnet – genauer, als zwei gerade Linien, die einen Winkel bilden. Aber wir brauchen uns nicht mit der Annahme zu begnügen, daß sich Licht – zumindest immer in einer homogenen Materie wie Luft oder Wasser – geradlinig ausbreitet; sogar das läßt sich mit dem allgemeinen Prinzip der Quantentheorie erklären: Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses errechnet sich durch die Addierung der Pfeile für alle Wege, auf denen das Ereignis eintreten könnte.
So werde ich Ihnen in unserem nächsten Beispiel zeigen, wie man durch die Addition kleiner Pfeile die geradlinige Ausbreitung des Lichts ableiten kann. Dazu wollen wir eine Lichtquelle in S und einen Photoelektronen-Vervielfacher in P plazieren (vgl. Abb. 32) und uns sämtliche Wege – so gewunden sie auch sein mögen – anschauen, die das Licht von der Quelle zum Detektor einschlagen könnte. Dann wollen wir für jeden Weg einen kleinen Pfeil zeichnen und uns an unsere Lektion halten!
Für jeden gewundenen Pfad wie zum Beispiel A gibt es in der Nachbarschaft
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