QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)
die Photonen auf die Glascheibe oben. Jetzt zeichnen wir unsere Pfeile für die Reflexion an der Vorder- und der Rückseite des Glases und addieren sie. Sagen wir, wir erhalten einen resultierenden Pfeil der Länge 0,3, der auf 5 Uhr zeigen soll.
Wie sollen wir nun die beiden Pfeile kombinieren, um die Amplitude für das ganze Ereignis zu erhalten? Indem wir die beiden Pfeile mit ganz anderen Augen betrachten, nämlich als Instruktionen über einen Verkürzungs- und Dreh prozeß.
Im vorliegenden Beispiel hat die erste Amplitude eine Länge von 0,2 und zeigt auf 2 Uhr. Beginnen wir mit einem »Einheitspfeil« – einem Pfeil von der Länge 1, der senkrecht nach oben deutet –, so können wir diesen Einheitspfeil von 1 auf 0,2 verkürzen und von 12 Uhr auf 2 Uhr drehen. Dementsprechend müssen wir zur Berechnung der Amplitude des zweiten Schritts den Einheitspfeil von 1 auf 0,3 verkürzen und von 12 Uhr auf 5 Uhr drehen.
Bleibt uns noch, die Amplituden für beide Schritte zu kombinieren. Zu diesem Zweck müssen wir die Pfeile aufeinanderfolgend verkürzen und drehen. Zuerst verkürzen wir den Einheitspfeil von 1 auf 0,2 und drehen ihn von 12 auf 2 Uhr; dann verkürzen wir diesen Pfeil von 0,2 weiter auf drei Zehntel seiner Länge und drehen ihn um 5 Stunden weiter – das heißt, wir drehen ihn von 2 auf 7 Uhr. Der Pfeil, den wir auf diese Weise erhalten, hat eine Länge von 0,06 und deutet auf 7 Uhr. Er stellt eine Wahrscheinlichkeit von 0,06 im Quadrat oder 0,0036 dar.
Beobachten wir die Pfeile genau, sehen wir, daß unser aufeinanderfolgender Verkürzungs- und Drehprozeß auf dasselbe hinausläuft wie eine Addition der beiden Winkel (2 Uhr + 5 Uhr) und eine Multiplikation der beiden Längen (0,2 x 0,3). Warum wir die Winkel addieren müssen, ist leicht zu begreifen, wird doch der Winkel eines Pfeils durch die Drehung des fiktiven Stoppuhrzeigers bestimmt. Und deshalb muß auch die Gesamtdrehung für die beiden aufeinanderfolgenden Schritte gleich der Summe aus der Drehung beim ersten und der Drehung beim zweiten Schritt sein.
Um zu erklären, warum wir diesen Vorgang »Pfeilemultiplizieren« nennen, muß ich ein bißchen weiter ausholen. Aber es lohnt sich. Betrachten wir den Vorgang der Multiplikation einmal kurz mit den Augen der Griechen (auch wenn das mit unserer Vorlesung nichts zu tun hat). Da die Griechen nicht nur mit ganzen Zahlen rechnen wollten, stellten sie die Zahlen mittels Linien dar. Durch Veränderung einer Einheitslänge läßt sich nämlich ohne weiteres jede beliebige Zahl ausdrücken: Man braucht sie nur zu verlängern respektive zu verkürzen. Ordnen wir zum Beispiel der Linie A die Einheitslänge zu (vgl. Abb. 38), dann besitzen die Linien B und C die Längen 2 beziehungsweise 3.
Wenn wir nun Linie B mit Linie C multiplizieren wollen, müssen wir unsere Linie A schrittweise verändern. Gehen wir von A als Einheitslänge aus, müssen wir sie auf das Zweifache dehnen und diese neue Länge auf das Dreifache (oder erst auf das Dreifache und dann auf das Zweifache – die Reihenfolge ist unerheblich). Als Ergebnis erhalten wir die Linie D, deren Länge 6 darstellt. Wenn wir nun 1/3 mit 1/2 multiplizieren wollen, nehmen wir D als Einheitslänge, verkürzen sie um die Hälfte (Linie C) und diese dann auf ein Drittel ihrer Länge. So erhalten wir Linie A oder 1/6 von D.
Genauso gehen wir vor, wenn wir Pfeile multiplizieren wollen (vgl. Abb. 39). Wir verändern den Einheitspfeil schrittweise – nur daß die Veränderung eines Pfeils zwei Operationen beinhaltet. Bei der Multiplikation von Pfeil V mit Pfeil W zum Beispiel verkürzen wir den Einheitspfeil um den für V vorgeschriebenen Betrag, drehen ihn um den für V vorgeschriebenen Winkel und verkürzen dann den auf diese Weise erhaltenen Pfeil um den für W vorgeschriebenen Betrag bei gleichzeitiger Drehung um die für W vorgeschriebenen Grade – wobei auch hier die Reihenfolge keine Rolle spielt. Das heißt, für die Multiplikation von Pfeilen gilt dieselbe Regel der schrittweisen Veränderungen wie für die Multiplikation gewöhnlicher Zahlen. 7
Mit dieser Idee der aufeinanderfolgenden Schritte im Hinterkopf wollen wir noch einmal auf unser erstes Experiment aus der ersten Vorlesung zurückkommen: auf die partielle Reflexion an einer einzigen Grenzfläche (vgl. Abb. 40). Den Weg der Reflexion können wir in drei Schritte zerlegen: 1) das Licht fällt von der Quelle auf das Glas, 2) es wird vom Glas
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