Qiu Xiaolong
falls sich tatsächlich eine Schnur darin verfangen hatte, würde es schwierig sein, die Schraube wieder freizubekommen.
Er stellte den Motor ab und sprang ans Ufer. Noch immer konnte er nichts Ungewöhnliches erkennen. Also begann er, mit einem langen Bambusstab in dem trüben Wasser herumzustochern. Den Stab hatte er von daheim mitgebracht, seine Frau pflegte daran auf dem Balkon die Wäsche aufzuhängen. Nach einigen Minuten stieß er unter dem Boot auf etwas.
Es fühlte sich weich an und war ziemlich groß.
Er zog Hemd und Hose aus und stieg ins Wasser. Problemlos bekam er das Ding zu fassen, doch es kostete ihn einige Mühe, es durchs Wasser ans Ufer zu ziehen.
Es war ein großer schwarzer Plastiksack.
Er war fest zugebunden. Vorsichtig knotete er die Schnur auf, beugte sich hinab und blickte hinein.
»Verdammt!« fluchte er.
»Was ist denn los?«
»Sieh dir das an! Haare!«
Liu beugte sich vor und schnappte ebenfalls nach Luft.
Es waren die Haare einer toten, nackten Frau.
Mit Lius Hilfe zog Gao die Leiche aus dem Sack und legte sie auf den Rücken.
Sie hatte sicher noch nicht sehr lange im Wasser gelegen. Ihr Gesicht war zwar etwas aufgedunsen, aber es war noch deutlich zu erkennen, daß sie jung und hübsch gewesen war. In ihrem dichten schwarzen Haar hatte sich ein Strang grüner Binsen verfangen. Ihr Körper war gespenstisch weiß, die Brüste schlaff, die Hüften breit, das schwarze Schamhaar naß.
Gao sprang zurück ins Boot, holte eine alte Decke und warf sie über die Leiche. Mehr fiel ihm momentan nicht ein. Schließlich brach er noch den Bambusstab entzwei. Es war zwar schade um ihn, aber er würde von nun an nur Unglück bringen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, seine Frau tagein, tagaus die Wäsche daran aufhängen zu sehen.
»Was sollen wir jetzt tun?« fragte Liu.
»Wir können nichts tun. Berühre nichts, vor allem nicht die Leiche, bis die Polizei kommt.«
Gao holte sein Handy heraus. Er zögerte, bevor er die Nummer der Shanghaier Polizei wählte. Er würde einen Bericht schreiben und genau erklären müssen, wie er die Leiche gefunden hatte. Doch zuallererst würde er erklären müssen, warum er überhaupt dort gewesen war, zu dieser Tageszeit und mit Liu an Bord. Eigentlich hätte er seine Schicht abarbeiten müssen; statt dessen hatte er sich mit seinem Freund ein paar vergnügte Stunden gemacht, geangelt, getrunken. Aber er würde die Wahrheit sagen müssen, es blieb ihm nichts anderes übrig. Er wählte die Nummer.
»Hauptwachtmeister Yu Guangming, Spezialabteilung«, meldete sich eine Stimme.
»Hier Kapitän Gao Ziling von der Vorhut, Mitarbeiter der städtischen Wasserwacht. Ich melde einen Mord. Im Baili-Kanal wurde eine Leiche entdeckt, die Leiche einer jungen Frau.«
»Wo liegt denn der Baili-Kanal?«
»Westlich von Qingpu. Hinter der städtischen Papierfabrik Nummer 2, etwa zehn Kilometer davon entfernt.«
»Einen Moment, ich sehe kurz nach, wen ich losschicken kann«, sagte Hauptwachtmeister Yu.
Kapitän Gao wurde nervös, während am anderen Ende der Leitung Stille eintrat.
»Kurz nach halb fünf ist ebenfalls ein Mord gemeldet worden«, sagte der Hauptwachtmeister schließlich. »Alle sind unterwegs, sogar Oberinspektor Chen. Ich mache mich selbst auf den Weg. Ich nehme an, Sie wissen genug, um nichts durcheinanderzubringen. Warten Sie dort auf mich.«
Gao blickte auf seine Uhr. Der Hauptwachtmeister würde mindestens zwei Stunden brauchen. Ganz zu schweigen von der Zeit, die sie danach noch mit ihm verbringen müßten. Er und Liu würden als Zeugen gebraucht werden und dann wahrscheinlich noch mit auf die Wache kommen müssen, um dort ihre Aussage zu Protokoll zu geben.
Das Wetter war angenehm, es war mild, weiße Wolken zogen ruhig am Himmel entlang. Er sah eine dunkle Kröte in einen Spalt zwischen den Steinen springen; der graue Fleck hob sich deutlich von den kreideweißen Steinen ab. Auch eine Kröte konnte Unglück verheißen. Er spuckte abermals auf den Boden.
Selbst wenn sie es schafften, rechtzeitig zum Abendessen daheim zu sein, wären die Fische schon ziemlich lange tot. Dies würde der Suppe nicht sonderlich bekommen.
»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Gao. »Ich hätte eine andere Stelle vorschlagen sollen.«
»Wie unser alter Weiser sagt: ›In acht oder neun von zehn Fällen gehen Dinge in dieser unserer Welt schief‹«, erwiderte Liu, der allmählich seine Fassung wiedergewann. »Niemand ist schuld daran.«
Wieder spuckte
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