Qiu Xiaolong
Ethos zu tun, daß er sich so wenig darüber ausließ. Aber er war wahrhaftig ziemlich frustriert.
»Rede mit mir, Guangming! Das sagt doch auch dein Polizistenvater immer wieder: Reden hilft.«
Also begann er zusammenzufassen, worauf er sich keinen Reim machen konnte, vor allem die Tatsache, daß es ihm einfach nicht gelang, etwas über Guans Privatleben zu erfahren. »Sie war wie ein Einsiedlerkrebs. Sie zog sich völlig in das Schneckenhaus der Politik zurück.«
»Ich verstehe nicht viel von kriminalistischen Ermittlungen, aber ich kann einfach nicht glauben, daß eine attraktive Frau von dreißig, einunddreißig Jahren so gelebt haben soll.«
»Wie meinst du das?«
»Sie hatte nie eine Liebesbeziehung?«
»Sie war mit all den Parteiaktivitäten und Versammlungen einfach zu beschäftigt. In ihrer Position war es wohl schwierig, jemanden zu finden, und wohl auch schwierig für einen Mann, sie näher kennenzulernen.«
»Aber das ist doch völlig widernatürlich. Wie Miaoyu im Traum der Roten Kammer.«
»Wer ist denn Miaoyu?«
»Miaoyu ist eine schöne junge Nonne, die ihr Leben ganz den abstrakten Idealen des Buddhismus geweiht hat. Sie ist stolz auf ihre Religiosität und denkt, daß sie über den romantischen Irrungen des roten Staubs steht.«
»Entschuldige, daß ich dich schon wieder unterbreche, aber was ist denn der rote Staub?«
»Na ja, die normale Welt eben, das Leben, das die gewöhnlichen Leute wie du und ich führen.«
»Dann kann’s ja nicht so schlecht sein.«
»Gegen Ende der Geschichte meditiert Miaoyu in einer einsamen Nacht und wird Opfer ihrer sexuellen Phantasien. Sie ist so in ihrer Leidenschaft gefangen, daß sie nicht mehr sprechen kann, und so fällt es einer Bande von Verbrechern nicht weiter schwer, sich anzuschleichen und sie zu entführen. Sie stirbt sicher nicht als Jungfrau. Den Literaturkritikern zufolge ist das eine Metapher: Nur der Dämon in ihrem Herzen konnte die Dämonen zu ihrem Körper locken. Sie wurde das Opfer der langjährigen Unterdrückung ihrer Sexualität.«
»Und was soll das Ganze?«
»Kann denn ein Mensch sein Leben lang nur von seinen Idealen leben? Vor allem eine Frau? In ihren letzten bewußten Augenblicken hat Miaoyu sicher reuevoll auf ihr vergeudetes Leben zurückgeblickt. Sie hätte es damit zubringen sollen, das Haus zu putzen, mit ihrem Mann ins Bett zu gehen, ihren Kindern das Pausenbrot für die Schule zu machen.«
»Aber Miaoyu ist nur eine Romanheldin.«
»Aber der Roman zeigt tiefe Einsicht in die Natur der Menschen. Was für Miaoyu zutraf, sollte auch für Guan zutreffen.«
»Jetzt begreife ich, was du meinst«, sagte er.
»Frauen sprechen nicht gerne über ihre Vergangenheit, vor allem, wenn sie alleinstehend sind und ihre Gesprächspartnerinnen jünger sind als sie.«
»Da hast du recht, Peiqin. Ich hätte auch mit ein paar pensionierten Mitarbeitern sprechen sollen.«
»Übrigens, wie geht es eigentlich deinem Oberinspektor?«
»Na ja, der hat immer wieder ein paar Einfälle, aber einen Durchbruch schafft er auch nicht.«
»Nein, ich meine jetzt privat.«
»Über sein Privatleben weiß ich nichts.«
»Er ist doch Mitte Dreißig, oder? Ein Oberinspektor in seinem Alter muß ein höchst begehrter Junggeselle sein.«
»Wahrscheinlich schon. Im Büro erzählt man sich, daß er sich immer wieder einmal mit einer Reporterin von der Wenhui-Zeitung trifft . Es gehe um einen Artikel über ihn, sagt er.«
»Glaubst du denn, er würde es den Leuten sagen, wenn es um etwas anderes ginge?«
»Na ja, im Büro ist er ein wichtiger Mann. Alle beobachten ihn. Natürlich würde er nicht darüber reden.«
»Genau wie Guan«, sagte sie.
»Mit einem Unterschied.«
»Und der wäre?«
»Sie war bekannter.«
»Um so mehr Grund hatte sie, mit anderen nicht darüber zu reden.«
»Peiqin, du bist wirklich Klasse!«
»Nein, ich bin nur eine ganz normale Frau. Und habe das Glück, mit einem Klassemann verheiratet zu sein.«
Ein leichter Wind war aufgekommen.
»Na klar«, sagte er wehmütig. »Ein Klassemann.«
»Ach, Guangming, ich erinnere mich noch so gut an unsere Zeit in Xishuangbanna. Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, dachte ich immer daran, wie du mich in der Grundschule gerettet hast. Davon habe ich dir doch erzählt, oder?«
»Du erstaunst mich immer wieder«, sagte er und drückte ihre Hand.
»Deine Hand in meiner Hand«, sagte sie zwinkernd. »Mehr habe ich mir vom ›Garten der Augenweide‹ nicht erhofft. Ich bin so
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