Qiu Xiaolong
hatten. Manche chinesischen Eltern glaubten an die Kraft solcher Namen. Konfuzius selber hatte schließlich gesagt: »Die Namensgebung ist die wichtigste Sache der Welt.«
Das Datum schien jedenfalls zu passen. Im Oktober war Guan in die Berge gereist. Auch die unverkennbare Willkommenskiefer im Hintergrund paßte. Und warum hätte Guan das Foto in ihrem Album aufheben sollen, wenn es nicht für sie bestimmt gewesen wäre?
Er zündete sich unter dem Bild des Genossen Deng Xiao-ping eine Zigarette an, dann steckte er das Foto in seine Brieftasche. Drunten warf er noch einmal einen Blick in die Telefonbude – noch immer kein Onkel Bao.
»Hat Onkel Bao heute frei?« fragte er.
»Sie sind sicher der Genosse Oberinspektor«, sagte das Mädchen und musterte seine Uniform. »Genosse Bao hat auf Sie gewartet. Er hat mich beauftragt, ihn zu benachrichtigen, wenn Sie da sind.«
Es dauerte kaum drei Minuten, da kam Onkel Bao auch schon mit einem großen Umschlag in der Hand herangeschlurft.
»Ich habe etwas für Sie, Genosse Oberinspektor.«
»Danke, Onkel Bao.«
»Ich habe schon ein paarmal bei Ihnen angerufen, aber es war immer besetzt.«
»Das tut mir leid, ich hätte Ihnen meine Privatnummer geben sollen.«
»Unterhalten wir uns doch noch ein wenig. Ich wohne hier ganz in der Nähe, aber bei mir zu Hause ist es ein bißchen eng.«
»Wir könnten uns bei einer Tasse Tee in dem Restaurant dort drüben unterhalten.«
»Gute Idee.«
Am Samstag morgen herrschte dort wenig Betrieb. Sie setzten sich nach innen. Der Kellner schien Onkel Bao gut zu kennen, er brachte ihm sofort eine Kanne Drachenbrunnen-Tee.
Der Alte zog mehrere Quittungsblöcke heraus, die die Zeit von Februar bis Anfang Mai abdeckten. Alles in allem ging aus über dreißig Quittungen hervor, daß Guan Anrufe von der Nummer 867-831 erhalten hatte. Viele dieser Anrufe waren nach neun Uhr abends eingegangen. Der Nachname des Anrufers lautete Wu.
»Diese Anrufe sind also alle vom selben Apparat aus geführt worden«, sagte Chen.
»Und auch vom selben Mann«, sagte Onkel Bao. »Da bin ich mir ganz sicher.«
»Wissen Sie etwas über diese Nummer oder diesen Mann?«
»Über die Nummer weiß ich nichts. Aber der Mann, das habe ich Ihnen, glaube ich, schon erzählt, ist so um die Vierzig und spricht mit einem deutlichen Pekinger Akzent, auch wenn er nicht aus Peking stammt. Wahrscheinlich kommt er aus Shanghai, spricht aber häufig Pekinger Dialekt. Er ist ziemlich höflich, mich hat er immer ›Alter Onkel‹ genannt. Deshalb erinnere ich mich auch daran, daß die meisten Anrufe von ihm stammten, und das geht ja auch aus den Unterlagen hervor.«
»Diese Information ist wirklich sehr wichtig für uns, Onkel Bao. Wir werden die Nummer sofort überprüfen.«
»Und noch eines: Ich weiß nicht, wen Guan angerufen hat, aber diese Person hat nicht den öffentlichen Telefondienst benutzt. Höchstwahrscheinlich war es ein privates Telefon. Sie ist immer sofort durchgekommen. Und sie hat häufig nach neun oder zehn Uhr abends angerufen.«
»Ja, das ist ein weiterer wichtiger Punkt«, sagte Chen. »Und in der Nacht vom 10. Mai?«
»Da habe ich auch etwas gefunden.«
Onkel Bao holte einen kleinen Umschlag hervor, in dem nur ein einziger Zettel steckte.
Es war eine kurze Nachricht. »Wir treffen uns wie vereinbart.« Und sie stammte von einem Anrufer, der mit Nachnamen Wu hieß, auch wenn keine Rückrufnummer notiert war.
»Vielleicht waren das nicht exakt seine Worte«, sagte Onkel Bao, »aber die Aussage stimmt.«
Also hatte Guan ein paar Stunden vor ihrer Reise einen Anruf von einem Mann namens Wu erhalten, offenbar demselben, der sie zwischen Februar und Mai über dreißigmal angerufen hatte.
»Warum wurde bei der Nachricht vom 10. Mai keine Telefonnummer notiert?«
»Weil der Anrufer nicht um einen Rückruf bat«, erklärte Onkel Bao. »In solchen Fällen schreiben wir nur die Nachricht für den Empfänger auf.«
»Erinnern Sie sich noch an irgend etwas anderes, was der Mann an jenem Abend gesagt haben könnte?«
»Nein, tut mir leid.«
»Nun, Sie haben uns wirklich sehr geholfen«, sagte Chen. »Damit haben wir definitiv eine neue Spur. Ich weiß gar nicht, wie wir Ihnen danken können.«
»Rufen Sie mich an, wenn der Fall gelöst ist.«
»Das werde ich tun, und ich verspreche Ihnen, das wird ein langes Gespräch werden!«
»Und dann trinken wir noch eine Kanne Tee zusammen. Im Teehaus im Herzen des Sees. Dazu lade ich Sie ein.«
»Ja, das tun
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