Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
sein mögen, außer vielleicht in Brighams warmem
Bett. Der Gedanke, in ihr einsames Häuschen zurückzukehren, erfüllte sie mit
überwältigender Einsamkeit, obwohl ihr bewußt war, daß sie irgendwann nach
Hause gehen mußte.
Die Wohnung war sauber und
aufgeräumt, aber Pollys Bett sah aus, als hätte sie vergeblich versucht
einzuschlafen und sich viele Stunden lang schlaflos von einer auf die andere
Seite gewälzt.
»Hast du schon etwas von Devon
gehört?« fragte Lydia leise und setzte sich an Pollys Tisch, als die junge Frau
zum Herd ging, wo immer ein Kessel mit heißem Wasser stand.
Pollys schönes dunkles Haar war zu
einem dicken Zopf geflochten, der ihr lang über den schmalen Rücken fiel.
»Nein«, antwortete sie, ohne sich zu Lydia umzudrehen. »Er ist der
starrsinnigste Mensch, den Gott je erschaffen hat.«
Lydia lächelte ganz unbewußt. »Der
zweitstarrsinnigste«, berichtigte sie. »Ich glaube, Brigham hat Devon alles
beigebracht, was er über Starrsinn, Trotz und Halsstarrigkeit weiß.«
Polly gab Teeblätter in eine Kanne
und fügte kochendes Wasser hinzu. Während sie den Tee ziehen ließ, holte sie
Tassen aus einem Regal. »Manchmal denke ich, daß ich mich aufmachen und ihn
suchen müßte, um ihn an den Ohren nach Hause zu ziehen«, sagte sie mit abwesender
Miene. »Er führt sich wie ein kleiner Junge auf, der dringend eine Tracht
Prügel braucht.«
Lydia mußte lächeln bei der
Vorstellung, daß Polly den kräftigen Devon an den Ohren zum Kai zerrte, doch
ihre Worte klangen traurig. »Wäre es nicht ein Luxus, ab und zu auch einmal
Schwäche zeigen zu dürfen?« sagte sie nachdenklich. »Ich meine, Devon und
Brigham sind doch keine Ungeheuer. Warum können wir uns nicht von ihnen durchs
Leben führen lassen, wie es so viele andere Ehefrauen bei ihren Männern zulassen?«
Polly seufzte schwer, und das
Lächeln verblaßte auf ihren Lippen. »Ich glaube, wenn man einmal gelernt hat,
allein zurechtzukommen,
vergißt man es nie, wieder.« Sie trug die Teekanne zum Tisch, stellte Tassen,
Zucker und Milch dazu und zog sich einen Stuhl heran. »Außerdem bin ich gar
nicht sicher, daß Brigham sich zu dir hingezogen fühlen würde, wenn du ein
zartes Veilchen wärst, das bereitwillig seine Befehle ausführt.«
Lydia hätte gelacht, wenn sie nicht
so sicher gewesen wäre, in Hysterie zu verfallen. »Er hat mir nie gesagt, daß
er mich liebt, und er würde nicht einmal einen Kompromiß schließen, um seine
Seele vor dem Fegefeuer zu bewahren, so unglaublich verstockt ist er! Warum
konnte ich mich nicht in jemanden wie Dr. McCauley verlieben? Warum erwarte ich
nicht von ihm ein Kind?«
Pollys müde, vom Weinen geschwollene
Augen hellten sich ein wenig auf, sie ergriff Lydias Hand und drückte sie. »Du
bekommst ein Baby, Lydia? Das ist ja wunderbar — dann wird mein Sohn einen
Cousin haben, mit dem er spielen kann!« Die Vorstellung der beiden spielenden
Kinder, eins mit Brighams dunklem Haar und seinen schiefergrauen Augen, das
andere mit Devons blonder Mähne und dessen klugen blauen Augen, ging Lydia so
zu Herzen, daß sie in Tränen ausbrach.
Polly ging zu ihrem Schrank und
kehrte mit einem Taschentuch zurück, das Lydia dankbar annahm. Während sie
sich die Nase putzte und ihre Tränen trocknete, schenkte Polly Tee ein.
»Ich glaube nicht, daß deine Lage
sich mit meiner vergleichen läßt, Lydia«, bemerkte sie schließlich ruhig. »Ich
vermisse Devon noch immer sehr. Ich würde mich gern von ihm herumkommandieren
lassen, wenn er bloß zurückkäme und bereit wäre, wieder mit mir zu leben.«
Lydia schnaubte sehr undamenhaft und
wischte sich vorsichtshalber noch einmal die Nase ab. »Du machst dir etwas
vor, Polly. Du bist genauso stark und unabhängig wie Devon und würdest es nie
ertragen, sein Schoßhündchen zu sein. Du könntest nur in einer
gleichberechtigten Partnerschaft mit ihm leben.«
»Vielleicht hast du recht«; gab
Polly nach langer Überlegung zu. »Das Problem ist nur, ich vermisse ihn so
sehr, daß ich manchmal Angst habe, den Verstand darüber zu verlieren. Ich renne
in diesen vier Wänden herum und schlage mit den Fäusten an die Wand, als
könnte das etwas an meinem Schicksal ändern.«
Nachdem Lydia Zucker und Milch in
ihren Tee gegeben hatte, trank sie einen Schluck. »Wo, glaubst du, mag er sein?
Devon, meine ich.«
Polly zuckte unglücklich mit den
Schultern. »Wer weiß. In Seattle — in San Francisco oder auf dem Weg nach
China.« Ein Hoffnungsschimmer
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