Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
Horde Indianer sich als >zu wild< für Mistress Chilcote
erweisen würde, aber natürlich sprach sie es nicht aus. Devon und Polly waren
frisch verheiratet und mit sich selbst beschäftigt, und der Hausherr hatte sich
ihr gegenüber alles andere als freundlich gezeigt. Sie brauchte wenigstens einen
ihr wohlwollenden erwachsenen Menschen in diesem Haus.
Freundlich deutete sie auf die
beiden Sessel beim Fenster, und Mistress Chilcote nahm Platz.
»Diese Stadt, dieses Haus ...« sagte
Lydia nachdenklich. »Es kommt einem fast so vor, als hätte ein Genie das alles
aus einem Dorf in Neuengland entfernt und hergebracht, mitten in diese
unberührte Wildnis.«
Mistress Chilcote lächelte, und
Lydia dachte, daß diese Frau in ihrer Jugend eine auffallende Schönheit gewesen
sein mußte. »Quade's Harbor sieht nicht halb so heruntergekommen aus wie
Seattle«, stimmte sie zu. »Mein Neffe — ich meine Brigham — hatte schon eine
Vorstellung davon, wie dieser Ort aussehen würde, noch bevor er das Land in
Besitz nahm. Und im allgemeinen entwickelt sich auch stets alles so, wie
Brigham es sich vorstellt.«
»Ja«, erwiderte Lydia flach.
Mistress Chilcote beugte sich vor,
ihre Augen funkelten belustigt. »Irre ich mich in der Annahme, daß sie Brigham
bereits begegnet sind und ihn etwas ... schwierig fanden?«
Lydia wich den forschenden Blicken
der alten Dame aus. »Er war sehr brüsk und überheblich.«
Brighams Tante lachte. »Ja, er ist
recht eigenwillig«, stimmte sie zu, doch dann wurde sie ernst. »Aber beurteilen
Sie ihn nicht zu hart, Miss McQuire. Er hat kein einfaches Leben gehabt, trotz
der glücklichen Umstände seiner Geburt, und er hat ein Königreich in diesen
Wäldern aufgebaut, obwohl das Schicksal ihm mehr Steine in den Weg gelegt hat,
als es ihm Unterstützung zukommen ließ.«
Mistress Chilcotes letzte Bemerkung
verblüffte Lydia, doch sie stellte diesbezüglich keine Fragen. Die Aufregungen
des Tages begannen sich allmählich bemerkbar zu machen, und Lydia wünschte sich
jetzt nichts sehnlicher als ein warmes Kaminfeuer, eine Tasse heißen, starken
Tee und einige Stunden ungestörten Schlaf.
»Sie müssen müde sein«, bemerkte
Mistress Chilcote, und Lydia fügte den Qualitäten, die sie bei der alten Dame
entdeckt zu haben glaubte, Klugheit und Feingefühl hinzu. »Wie wäre es mit
einem kleinen Imbiß?«
»Eine Tasse Tee wäre wundervoll«,
antwortete Lydia. »Vielen Dank.« Als ihre Gastgeberin aufstand und hinausging,
hockte Lydia sich vor den Kamin, um ein Feuer anzufachen.
Es prasselte bereits behaglich, und
sie wärmte ihre Hände über seinem Schein, als die alte Dame mit einem Tablett
zurückkehrte und es auf einem reich geschnitzten Tisch abstellte. Neben einer
Kanne Tee standen eingemachte Birnen, Sandwiches, von denen die Kruste
abgeschnitten worden war, und ein Eintopfgericht, das einen verlockenden Duft
ausströmte.
»Ich lasse Sie jetzt allein, damit
Sie sich einrichten können«, sagte Mistress Chilcote freundlich. »Dinner ist um
sieben, so unzivilisiert das auch erscheinen mag. Aber Brigham meint, er würde
verhungern, wenn er bis acht Uhr warten müßte.«
Unwillkürlich sah Lydia wieder
Brighams Bild vor Augen; er wirkte groß und kräftig wie ein Bär, obwohl er in
Wirklichkeit den gleichen schlanken Körperbau besaß wie sein Bruder. Die
beherrschte Kraft, die er ausstrahlte, ließ darauf schließen, daß seine Energie
auf kleiner Flamme brannte, aber jeden Augenblick zu einem alles
verschlingenden Feuer auflodern konnte ...
Lydia dankte Mistress Chilcote, und
als sie allein war, setzte sie sich an den Tisch, um zu essen. Als das Tablett
leer und ihr Hunger gestillt war, schürte sie das Feuer und streckte sich auf
dem Bett aus.
Stunden später, als sie die Augen
wieder öffnete, war es dunkel im Zimmer, und sie hörte den Regen gegen die
Fensterscheiben prasseln. Es war kühl und feucht im Raum, das Feuer war bis auf
ein Häufchen Glut heruntergebrannt. Ihre Arme reibend, um sich zu wärmen,
stand Lydia auf und legte rasch einige große Holzscheite nach. Im Schein des
aufflackernden Feuers fand sie die Petroleumlampe neben ihrem Bett und zündete
sie an.
Sie befestigte gerade den bemalten
Porzellanschirm auf der Lampe, als es an der Tür klopfte.
Lydia, die mit Mistress Chilcote
oder Millie rechnete, öffnete erfreut die Tür. Ein schlankes junges Mädchen,
das genauso
hübsch wie Millie, jedoch älter war,
stand in der Halle. Doch während Millie dunkles Haar und
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