Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
graue Augen hatte, war
dieses Mädchen mittelblond und mit hellen, bernsteinfarbenen Augen.
Es konnte nur Charlotte Quade sein,
und ihr Anblick versetzte Lydia einen Stich, weil sie plötzlich ganz sicher
war, daß Charlotte ihrer verstorbenen Mutter ähnlich sah, die — dem Aussehen
ihrer Tochter nach zu urteilen — eine Schönheit gewesen sein mußte.
Unverhohlene Feindseligkeit
glitzerte in Charlottes Augen. »Papa sagt, wenn Sie jetzt nicht zum Dinner
herunterkommen, essen wir ohne Sie«, erklärte sie kühl.
Lydia seufzte innerlich. Wenn sie
nicht so hungrig gewesen wäre, hätte sie Mister Quade durch diese gereizte
kleine Botin
bestimmt eine ähnlich unhöfliche
Antwort überbringen lassen, doch so erwiderte sie nur: »Schön, dich
kennenzulernen, Charlotte. Ich bin Miss McQuire und würde sehr gern mit euch
zu Abend essen — wenn du so freundlich wärst, mir den Weg zu zeigen?«
Charlotte warf den Kopf zurück,
musterte Lydia für einen Moment aus schmalen Augen und wandte sich zum Gehen.
»Ich verstehe nicht, warum Onkel Devon
Sie hierhergebracht hat«, bemerkte sie, ohne sich nach Lydia umzuschauen. »Wir
haben hier nämlich keine Verwendung für Sie.«
Lydia erwiderte nichts darauf, da
ihr klar war, daß es ihr doch nur eine weitere unfreundliche Antwort
eingebracht hätte.
Im Erdgeschoß durchquerten sie die
Küche, wo — umgeben von schmutzigen Pfannen und Töpfen — ein Mann am Tisch saß
und eine Ausgabe der Seattle Gazette las.
»Das ist Jake Feeny, unser Koch«,
erklärte Charlotte, ohne Mister Feeny weiter zu beachten. »Papa hat ihn
eingestellt, nachdem die Indianerin gegangen war.«
Lydia nickte Mister Feeny zu. Er
erwiderte ihren Gruß mit einem Lächeln und einem belustigten Augenzwinkern.
Im Speisezimmer, das ebenso
geschmackvoll eingerichtet war wie der Rest des Hauses, hatte die Familie Quade
sich an einem langen Tisch versammelt. Ein behagliches Feuer prasselte im
Kamin. Bei Lydias Erscheinen stand Devon auf, und Brigham folgte seinem
Beispiel, wenn auch mit sichtlichem Widerstreben.
Der einzige noch freie Platz befand
sich links neben Brigham, und Lydia fühlte sich von einer unerklärlichen
Verlegenheit erfaßt, als, er ihr den Stuhl zurechtrückte, bevor er sich wieder
auf seinem eigenen niederließ.
Die Unterhaltung wurde wieder
aufgenommen, aber Lydia beteiligte sich kaum daran. Statt dessen konzentrierte
sie sich auf das Essen, denn sie wollte unbedingt ein paar Pfund zunehmen, für
den Fall, daß ihr Schicksal erneut eine ungünstige Wendung nehmen und sie sich
von heute auf morgen auf der Straße wiederfinden sollte.
»Ich finde, wir sollten Miss McQuire
dahin zurückschicken, woher sie gekommen ist«, ließ Charlotte sich plötzlich
vernehmen, was dem allgemeinen Geplauder und Gelächter ein jähes Ende
bereitete.
»Laßt uns lieber Charlotte
fortschicken und Miss McQuire hierbehalten«, versetzte Millie und streckte
ihrer Schwester die Zunge heraus.
Lydia legte die Gabel auf den Teller
und verschränkte die Hände im Schoß. Unwillkürlich glitt ihr Blick zu Brigham.
Mister Quade maß seine älteste Tochter mit einem vorwurfsvollen Blick. »Vielleicht
möchtest du den Rest des Abends lieber auf deinem Zimmer verbringen und über
die Folgen deiner Ungezogenheit nachdenken«, sagte er in strengem Ton.
»Es tut mir leid, Papa«, meinte
Charlotte widerstrebend. Brigham blieb fest. »Mich hast du nicht beleidigt.«
Charlottes bernsteinfarbene Augen
richteten sich auf Lydia, der Trotz in ihrem Blick strafte ihre Worte Lügen.
»Verzeihen Sie, Miss McQuire. Ich werde mich bemühen, höflicher zu sein.«
Lydia zweifelte an der
Aufrichtigkeit von Charlottes Versprechen, aber da sie deren Stolz nicht
verletzen wollte, nickte sie dem jungen Mädchen freundlich zu. »Danke,
Charlotte.«
Bald darauf erhielten Charlotte und
Millie die Erlaubnis, den Tisch zu verlassen, und auch Mistress Chilcote zog
sich zurück. Devon und Polly, die sich während der ganzen Mahlzeit verliebt in
die Augen geschaut hatten, standen wie auf eine stumme Absprache hin auf und
gingen hinaus. Lydia schaute ihnen nach und wunderte sich über den Neid, der
sie erfaßte und voller Wehmut an jene Zeit zurückdenken ließ, in der auch sie
sich eine solche Liebe erhofft hatte und noch sicher gewesen war, sie auch
zu finden.
»Sie glaubten, Sie würden meinen
Bruder heiraten, nicht wahr?«
Brighams Worte überraschten Lydia
so, daß sie erblaßte und sich abrupt zu ihm umwandte. Doch seine grauen
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