Quade 02 - Goldene Sonne die dich verbrennt
entschied sich für ein elfenbeinfarbenes Abendkleid, mit winzigen
Perlen und Rheinkristallen bestickt; der dazu passende Seidenschal konnte als
Brautschleier dienen. Sie stand gerade vor dem Spiegel über der Kommode und
drappierte den Schal probehalber um ihren Kopf, als es an der Tür klopfte.
»Herein«, rief sie, weil sie
erwartete, daß es Jacoba oder Mary Fängt-viel-Fisch sein würden, die ihr den
Tee brachten.
Statt dessen sah sie die vier jungen
Mädchen, Patricks Mündel, in ihrem Spiegel reflektiert. Lächelnd drehte sie
sich zu Nora, Stella, Jayne und der sehr scheuen Deborah um, die ihr bis dahin
stets aus dem Weg gegangen war.
Obwohl Charlotte lächelte, machte
sie sich innerlich auf eine Konfrontation gefaßt. Es war Stella, das
dunkelhaarige Mädchen, das Gideon den Hof machte, das schließlich aus der
Gruppe vortrat.
»Jacoba sagt, daß eine Hochzeit
stattfinden wird«, sagte sie. Charlotte nickte und wartete.
Stella schaute ihre Gefährtinnen an
und erwiderte dann ganz offen Charlottes Blick. »Patrick Trevarren war immer
wie ein älterer Bruder zu uns. Er war unser Beschützer, als wir niemand anderen
hatte, und sorgte dafür, daß wir alles bekamen, was wir brauchten, und oft
sogar das, was wir uns wünschten. Ich glaube, man könnte sagen, wir sind
gekommen, um Sie zu warnen — sorgen Sie dafür, daß Sie ihn nicht verletzen,
denn sonst bekommen Sie es mit uns zu tun!«
Charlotte, die etwas völlig anderes
erwartet hatte, war erleichtert. »Wie kommt ihr darauf, daß ich Patrick bewußt
verletzten könnte? Ich liebe ihn.«
»Sie haben fast den ganzen Morgen
mit Gideon Rowling im Salon verbracht!« wandte Stella vorwurfsvoll ein.
Charlotte fühlte sich nicht
verpflichtet, eine Erklärung abzugeben; sie hatte sich nichts zuschulden
kommen lassen. So verschränkte sie nur die Arme, wartete ab und beobachtete
die Mädchen.
Etwas krachte hart an eine
Außenmauer, und Deborah, die jüngste und zarteste von Patricks
Schutzbefohlenen, zuckte zusammen und stieß einen entsetzten Schrei aus. Nora,
das lebhafte Mädchen, das Charlotte als erstes begegnet war und ihr Mathilda,
das Äffchen, vorgestellt hatte, legte schützend einen Arm um Deborahs Schultern
und flüsterte ihr beruhigende Worte zu.
Einen Augenblick später jedoch löste
Nora sich von Deborah und trat neben Stella.
»Patrick ist der Ansicht, daß wir
alle nach England oder Amerika geschickt werden sollten«, sagte sie zu
Charlotte. »Obwohl Stella nicht abgeneigt wäre, an einem anderen Ort zu leben,
würden wir anderen lieber auf der Insel bleiben. Würden Sie so freundlich sein,
mit Patrick darüber zu sprechen und versuchen, ihn umzustimmen?«
Charlotte seufzte. »Ich werde es
versuchen, aber der Captain ist im Augenblick nicht in der gnädigsten Stimmung.
Er macht sich Sorgen wegen des Sturms ...«
»Und der Piraten!« warf Deborah ein.
Ihre kornblumenblauen Augen waren groß vor Erregung und Furcht, als sie näher
an Jayne heranrückte. »Jacoba sagte, wenn diese Männer uns zu fassen kriegten,
würden wir alle als Sklavinnen enden und den Rest unseres Lebens in Sünde
verbringen!«
Charlotte war empört, daß die
Haushälterin derart erschreckende Ideen einem so offensichtlich naiven Gemüt
einflößte. »Jacoba redet manchmal zuviel!« meinte sie. »Ihr braucht keine
Angst zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgendwelche Piraten in der
Nähe sind.«
Jayne, eine temperamentvolle
Rothaarige, meldete sich nun zum erstenmal zu Wort. »Das glauben Sie«, sagte
sie mit gutmütigem Spott. »Mr. Rowling hat uns selbst erzählt, daß sein Schiff
von Piraten gekapert wurde . .«
»Diese schrecklichen Männer sind
längst weitergezogen«, entgegnete Charlotte, um die Mädchen zu beruhigen. »Und
falls sie doch durch Zufall noch irgendwo in der Nähe sind, wird der Sturm
ihnen den Garaus machen.«
Jayne verdrehte die Augen. »Unsinn.
Es gibt ein Dutzend kleinerer Inseln in der Nähe, und sie alle verfügen über
geschützte Buchten, in denen ein Schiff sich mühelos verbergen kann.«
»Sie hat recht, das stimmt«,
bestätigte Nora.
Bevor noch etwas anderes gesagt
werden konnte, trat Patrick ein und schickte seine Mündel fort. Obwohl keine
von ihnen glücklich darüber schien, gingen sie hinaus, nicht ohne Charlotte
jedoch vorher vielsagende Blicke zuzuwerfen, alle vier von ihnen.
Als Charlotte Patricks Miene sah,
beschloß sie, die Unterhaltung über seine Mündel zu verschieben. Jetzt war
nicht der richtige
Weitere Kostenlose Bücher