Quade 02 - Goldene Sonne die dich verbrennt
Augenblick, um Nachsicht von ihm zu erbitten.
»Was willst du?« fragte sie kühl und
kehrte zu ihren Anproben mit dem Seidenschal zurück.
Sie spürte sein Lächeln wie
Sonnenschein im Nacken und hörte es in seiner Stimme. »Leider haben wir keine
Zeit für das, was ich will«, erwiderte er. »Wir werden in einer Stunde heiraten,
aber das Vergnügen, unsere Ehe zu vollziehen, wird bis später warten müssen.«
Charlotte spürte, wie das Blut in
ihre Wangen stieg, und wandte sich zu Patrick um. Der Schleier bedeckte in
anmutigen Wellen ihr Haar und ihre Schultern. »Jetzt? Du willst jetzt heiraten?«
Patrick zog eine Uhr aus seiner
Hemdtasche und warf einen bedeutungsvollen Blick auf ihr Ziffernblatt. »In
genau einer Viertelstunde. Rowling hat eine Heiratsurkunde aufgesetzt. Er wird
die Worte sprechen, wir unterschreiben die Papiere, und damit ist die Aufgabe
erledigt.«
»Die Aufgabe?« wiederholte
Charlotte empört. »Mein Gott, Patrick, besitzt du nicht einmal genügend
Anstand, um mir zuliebe wenigstens so zu tun, als wäre es eine richtige
Hochzeit?«
»Eine richtige Hochzeit ist es«,
entgegnete Patrick mit einem abwesenden Seufzer. »Beeil dich, Göttin. Ich habe
noch andere Dinge zu erledigen.«
Charlotte verdrehte die Augen, weil
sie wußte, daß jedes weitere Argument sinnlos gewesen wäre. Patrick Trevarren
war ganz offensichtlich so feinfühlig und romantisch wie die Ochsen, die das
Holz ihres Vaters von den Bergen zu den Sägemühlen hinunterschleppten.
Patrick schaute von neuem auf die
Uhr, runzelte die Stirn, als überraschte es ihn, daß der Zeiger sich kaum von
der Stelle bewegt hatte, und verließ den Raum.
Charlotte ging ins Badezimmer, wusch
sich gründlich und zog ein frisches Unterkleid aus hellblauem Taft an, passende
Beinkleider und weite, spitzenbesetzte Unterröcke. Erst dann zog sie das
elfenbeinfarbene Abendkleid über ihren Kopf.
Genau im rechten Augenblick erschien
Mary Fängt-viel-Fisch, um die vielen winzigen Knöpfe an Charlottes Rücken zu
schließen. Das junge Dienstmädchen wirkte verängstigt und nervös. »Dieser
Sturm«, sagte sie besorgt, »wird uns noch von der Insel blasen und ins Wasser
treiben!«
»Ja, er ist ziemlich heftig«,
stimmte Charlotte zu. Seit Stunden schon sah sich jeder im Haus gezwungen, die
Stimme zu erheben, wenn er sich über das Heulen des Winds hinweg verständlich
machen wollte. »Aber ich bin sicher, daß wir noch hier im Haus sein werden,
wenn er nachläßt.«
Mary drückte Charlotte auf einen
Stuhl und begann sie mit geradezu unheimlicher Kunstfertigkeit zu frisieren.
Ihre flinken dunklen Hände formten Charlottes Haar im Nacken zu einem weichen
Knoten, während die Kopf- und Seitenpartien in sanften Wellen ihr Gesicht
umschmeichelten. Als Mary gerade den improvisierten Schleier feststeckte, kam
Deborah mit einem Korb rosafarbener Orchideenblüten herein.
Obwohl Charlotte sich über das
Geschenk freute, befürchtete sie jedoch, daß das Mädchen sich in ernsthafte
Gefahr begeben hatte, um sie zu pflücken. »O Deborah — sie sind wunderschön!«
flüsterte sie. »Aber du bist doch hoffentlich nicht bei diesem Sturm
hinausgegangen, um sie zu pflücken?«
Deborah lächelte scheu und errötete.
Sie war klein, mit hellem Haar und zarten Gesichtszügen, und eines Tages, wenn
sie etwas reifer war, würde sie eine bezaubernde Schönheit sein. »O nein, ich
würde nie wagen, Patricks Befehlen zuwiderzuhandeln! Er würde mich zur Strafe
auf mein Zimmer verbannen und mich das gesamte Buch Mose laut vorlesen
lassen!«
Charlotte lächelte, als sie von
Patricks disziplinarischen Maßnahmen erfuhr. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber
gewesen, wenn sie ihn für weit strenger gehalten hätte. »Woher hast dann diese
wunderschönen Blüten?« fragte sie, als Mary sie am Saum ihres Schleiers zu
befestigen begann.
»Nora hat sie geholt«, flüsterte Deborah
ehrfürchtig und voller Bewunderung für den Wagemut ihrer Gefährtin. »Als sie
zum erstenmal nach Mattie suchte. Sie wissen schon, der Affe.«
Ein heftiger Schreck erfaßte
Charlotte. »Das erstemal?« wiederholte sie besorgt. Mary war mitten in der Bewegung
erstarrt, stand mit erhobenen Händen und lauschte mit Interesse dem Gespräch.
»Sie werden sie doch nicht
verpetzen? Nora hat das Buch Mose schon fünfmal durch, und Patrick wäre
imstande, sie das ganze Alte Testament vorlesen zu lassen, wenn er etwas davon
erführe!«
Charlotte und Mary wechselten einen
Blick.
»Deborah«, sagte
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