Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Espresso beziehungsweise vor einem Prosecco saßen.
Sie glotzten mit müden Gesichtern auf das oberhalb der Bar befindliche TV-Gerät.
Die Stille und Kühle der Gaststube waren eine Wohltat. Vor allem wenn man, so wie
Lupino in den letzten Stunden, mit einem Haufen neugieriger Touristen durch die
Hitze der Stadt spazieren musste. Nein, eine Freude waren diese Stadtspaziergänge
nicht. Aber er verdiente sein Brot damit. Apropos Brot: ausgedörrt wie er war, hatte
er Lust auf ein Bier.
»Vorrei
una Moretti. [30] «
»Una Mo…mo…moretti!«,
äffte ihn der Koch nach. Luciana warf ihm einen müden Blick zu, stand auf und ging
hinter die Bar, das Bier holen. Wortlos stellte sie es vor Lupino auf den Tisch.
Dieser nahm die Gelegenheit wahr, packte ihre abgearbeitete, rote Hand und drückte
einen schmatzenden Kuss darauf. Errötend entzog sie ihm die Hand, murmelte ein nicht
unzärtlich klingendes »Idiota« und ließ sich mit einem Seufzer auf ihrem Platz nieder.
Gino, der diese Szene mit halbgeschlossenen Lidern beobachtete, schnalzte mit der
Zunge, nahm einen Schluck Prosecco und murmelte:
»Ah!
Il g…g…grande amore… ** «
Lupino grinste
verlegen. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, schaukelte hin und her und nuckelte
mit Genuss an dem kalten Bier. Als er sich gerade entspannt hatte, betrat Ranieri
die Osteria. Leicht schwankend steuerte er auf die drei zu, lallte »Ciao a tutti!«
und ließ sich neben Luciana auf einen Sessel nieder. Gino maß ihn mit einem Blick
von oben bis unten und grinste abschätzig. Ranieri bemerkte es nicht, denn er legte
die Ellbogen auf den Tisch, ließ den Kopf darauf fallen und begann binnen weniger
Minuten zu schnarchen. Luciana lachte leise, nippte von ihrem Espresso und schaute
weiter fern. Lupino war fassungslos. Was war mit Ranieri geschehen? Was war schon
eine Suspendierung? Sie hatten ihn ja nicht gefeuert. Suspendierung bedeutete vorläufige
Dienstfreistellung, ein Disziplinarverfahren, eine Strafe und danach Dienst wie
vorher. Also was sollte das Theater? Er nahm einen Schluck Bier, schüttelte den
Kopf und sah ebenfalls weiter fern.
Vier Stunden
später, als Ranieri auf einem provisorischen Lager aus drei Stühlen und einigen
Tischtüchern neben dem Kücheneingang seinen Rausch ausschlief, betraten zwei Männer
grußlos die Osteria. Sie hatten kahl geschorene Köpfe, trugen Maßanzüge ohne Krawatten
und protzigen Goldschmuck an den Händen. Sie sahen sich im Lokal um und gingen dann
auf den Tisch zu, an dem Lupino saß.
»Severino?
Lupino?«, grunzte der Kleinere von beiden. Lupino wurde bleich und stotterte:
»S…sssi.«
Der größere
legte ihm eine Hand, die die Größe einer Bistecca alla fiorentina hatte, auf die
Schulter und murmelte mit heiserer Stimme:
»Andiamo!«
Da er keine
Wahl hatte, stand Lupino auf und ging mit den beiden mit. Es waren Männer von ›Il
piccoletto‹, dem örtlichen Mafiaboss. Den, der ihm die Hand auf die Schulter gelegt
hatte, kannte er von früher. Als er noch Polizist war, hatte er ihn einmal verhaftet.
Piero hieß er. Lupino bekam einen Schweißausbruch. Als sie in ein vor der Osteria
wartendes Motorboot stiegen, fragte er:
»Che
cosa è successo? [31] «
Er bekam
keine Antwort. Stattdessen setzte sich Piero neben ihn und grunzte neuerlich, diesmal
zum Motorbootfahrer:
»Andiamo!«
Das Boot
steuerte durch die engen Kanäle San Polos hinaus auf den Canal Grande. Dort gab
der Fahrer ordentlich Gas. Ihr Weg führte sie vorbei an Santa Maria della Salute
rechter Hand und dem Markusplatz linker Hand. Weiter ging es an dem Biennalegelände
vorbei, hinaus in die nächtliche Lagune. Sie näherten sich der Lichterkette des
Lido. Dort legten sie an, und Piero half Lupino beim Aussteigen. Es wartete ein
schwarzer BMW, auf dessen Rückbank sich Lupino zwischen Piero und seinen kleineren
Begleiter quetschen musste. Der BMW rollte die Gran Viale Santa Maria Elisabetta
entlang zu einem weitläufigen Betonbau mit geschwungenen Formen: dem Strandbad.
Der Wagen hielt, und Lupino wurde von seinen beiden Begleitern in die nächtlich
verlassene Anlage geführt. Er bekam neuerlich einen Schweißausbruch, in seinem Bauch
grummelte es, und es fehlte nicht viel, dass er sich vor Angst in die Hosen geschissen
hätte. Plötzlich sah er ein Licht im Inneren des Strandrestaurants. Auf der Terrasse
flackerten einige Kerzen in Sturmlichtern. Beim Näherkommen sah Lupino die massige
Gestalt von ›Il piccoletto‹, der eine gewaltige weiße Serviette
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