Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Kein Wunder, schließlich tranken die beiden Bier zum
Essen. Bier zu Spaghetti und Meeresfrüchten! Brrr! Silvana Viti schüttelte sich
bei dem Gedanken. Besorgt sah sie Giancarlo, der fesche, strubbelköpfige Sonderermittler
aus Rom an. Nein, nein, der Branzino war in Ordnung, versicherte sie ihm und streichelte
dabei über seine Hand. Eine zärtliche Geste, die sie selbst verblüffte. Hatte sie
schon so viel getrunken? Sie hatte einen Prosecco als Aperitif, und dann waren sie
nun bei der zweiten Flasche Pinot bianco. Das war nicht so viel. Irgendwie hatte
sie Giancarlo ins Herz geschlossen. Sie mochte sein brillantes Auftreten, seine
Armani-Anzüge, sein gegeltes Haar und seinen lausbübischen Charme. Was seine berufliche
Qualifikation und seine Intelligenz betraf, war sie sich nicht so sicher. Da er
aber aus einer der besten römischen Familien stammte und auch das Jurastudium in
Rekordzeit absolviert hatte, war einer steilen Karriere im Innenministerium nichts
im Wege gestanden. Dieser Background war auch das gewisse Etwas, das Silvana ganz
besonders an ihm faszinierte. Mit Giancarlo kannte sie, die im Hinterland von Venedig,
am ›culo al mondo [36] ‹, aufgewachsen
war, endlich jemanden aus Rom. Jemanden mit besten Beziehungen und Kontakten. Ja,
Silvana Viti war ehrgeizig. So hatte sie es binnen kurzer Zeit von der uniformierten
Polizei zur Kriminalpolizei geschafft. Und als der neue Vicequestore vor einiger
Zeit den korrupten Severino abserviert hatte, war sie auf die freie Stelle nachgerückt.
Nicht ohne Vicequestore Mastrantonio so manchen sehr persönlichen Dienst zu erweisen.
Aber was soll’s? Renzo Mastrantonio war ein netter Opa, der Wachs in ihren Händen
war. Sie mochte ihn wirklich. Und er sie. Trotzdem: Giancarlo, war ein ganz anderes
Kaliber. Jung, attraktiv, sportlich, und im Bett würde er vermutlich kein Viagra
benötigen … Sie nahm einen Schluck Pinot bianco und streichelte erneut über Giancarlos
Handrücken. Der sah ihr tief in die Augen, und sie hielt ganz ruhig seinem fragenden
Blick stand. Ja, sie würde Giancarlo benutzen, um nach Rom versetzt zu werden. Zu
einer Sondereinheit. Sie wollte Karriere machen, und Giancarlo war ihre Karriereleiter.
Als er sich zu ihr über den Tisch beugte, ihre Hand ergriff und fragte, ob sie Lust
habe, Kaffee und Digestif in einer Bar im Cannarégio zu nehmen, drückte sie kurz
seine Hand, lächelte und sagte:
»Perché
no? [37] «
Giancarlo
fackelte nicht lange. Mit einer gebieterischen Geste verlangte er die Rechnung, die auch
prompt kam. Aus der Hosentasche nahm er ein Bündel Hundert-Euro-Scheine und blätterte
einen auf den Tisch. Er gab ein großzügiges Trinkgeld, drängte sich an der fetten
Österreicherin vorbei, die in ihrem Frust nicht bemerkt hatte, dass ihre Tischnachbarn
aufbrechen wollten, nahm Silvana galant beim Arm und verließ mit ihr die lärmende
Osteria. Eng nebeneinander, ohne aber Händchen zu halten, schlenderten sie den touristischen
Haupttrampelpfad zur Strada Nova vor. Dort bogen sie nach rechts in den gespenstisch
ruhigen Cannarégio ab. Giancarlo führte sie entlang kleiner Kanäle und über malerische
Brücken zu den Fondamenta della Misericordia und dann weiter zu den Fondamenta degli
Ormesini. Silvana musste grinsen. Giancarlo hatte sich offensichtlich
sehr schnell in Venedig eingelebt. Hier in der Gegend hinter dem Ghetto nuovo gab
es wirklich sehr nette Bars und Lokale, wo man direkt am Kanal und zum Teil sogar
auf Booten sitzend ein Glas Wein, einen Kaffee, einen Digestif oder worauf immer
man Lust hatte trinken konnte. Als sie den Rio della Misericordia entlang schlenderten,
fanden sie einen freien Zweiertisch direkt am Wasser. Sie setzte sich, und Giancarlo
verschwand in das Lokal. Er kam mit zwei Espressi wieder. Kurz darauf erschien eine
junge, flippige Kellnerin mit einer Flasche Grappa und zwei Gläsern. Silvana registrierte
zufrieden, dass Giancarlo einen Nardini ausgesucht hatte: den Klassiker aus Bassano
del Grappa. Sie prosteten einander zu, und Silvana berührte mit ihrem rechten Bein
die Armani-umhüllte Wade Giancarlos. Er sah sie wieder lange an, diesmal bemühte
sie sich um einen glutäugigen Blick. Du schnuckeliger Giancarlino, dachte sie und
lächelte zufrieden, jetzt werden wir auf Tuchfühlung gehen. Ich freu mich schon
auf deinen knackigen Arsch und deine Beziehungen in Rom. Lächelnd trank sie ihren
Kaffee aus und fragte mit rauchiger Stimme, um die sie sich sehr bemühen musste,
da ihre
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