Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
ließen. Lupino war das mehr als
peinlich. Andererseits musste er auch darüber blöde grinsen.
San Marco
rechts liegen lassend, spazierten sie quer durch den Bezirk Castello in Richtung
Arsenal. Auf dem Campo Santa Maria Formosa überredete Lupino seine Geliebte, kurz
haltzumachen. Sie nahmen auf der Terrasse eines Caffès Platz, tranken ein Gläschen
Prosecco und knabberten Chips. Dieser Aperitif regte Lupinos Magensäfte an und verursachte
ein nagendes Hungergefühl. Plötzlich hatte er eine Vision: Er würde Luciana in eines
seiner Lieblingsrestaurants führen und sie zu einem Mittagessen einladen. Er war
schon länger nicht mehr dort gewesen, da es nicht gerade zu den günstigsten Lokalen
Venedigs zählte. Doch nun, da er mit Philipp Mühleis abgerechnet hatte, und der
ihm ohne mit der Wimper zu zucken sein noch ausstehendes Honorar beglichen hatte,
konnte er sich einen Besuch in diesem Lokal leisten. Apropos Philipp Mühleis: Der
war in den Tagen, als er nach dem Ende der Dreharbeiten das Produktionsbüro hier
in Venedig aufgelöst hatte, für Marco so etwas wie ein Ersatzvater geworden. Darüber
hinaus war der Österreicher auch Signora Canella sehr sympathisch. Und so war Mühleis
nach einem Zwischenstopp in Wien nun wieder in Venedig. Lupino hatte ihn gestern
zufällig getroffen, als er mit Marco angeregt plaudernd über den Mercato Rialto
geschlendert war. Offensichtlich lernte Mühleis eifrig Italienisch … Lupino und
Luciana gelangten über die Ruga giuffa, die Fondamenta de l’Osmarin zum Rio di San
Lorenzo. Die links vor ihnen liegende Questura beachtete Lupino mit keinem Blick,
sondern ging mit Luciana über die Brücke geradeaus die Salizza San Antonin weiter,
die sie zum Campo Bandiera e Moro und weiter in die Calle del Pestrin brachte, wo
sich das Ristorante Corte Sconta befand. Hier aßen sie hausgemachte Gnocchi, die
wahrscheinlich besten Fritture Miste Venedigs sowie himmlische Desserts. Dazu tranken
sie eine wunderbare Flasche Ribolla Gialla. Nach dem üppigen Mittagessen, das ein
zufriedenes Lächeln auf Lucianas Antlitz zauberte, spazierten sie zum Rio dell’Arsenale
und diesen hinunter zur Riva San Biágio. Nun ging es immer weiter am Canale di San
Marco entlang hinaus zu den Giardini. Dort drehten sie eine kleine Runde durch die
Parkanlage und setzten sich schließlich auf die Terrasse des Paradiso. Direkt am
Wasser genossen sie die herbstlich milden Sonnenstrahlen. Ja, hier war es wirklich
paradiesisch. Und während sie jeder einen Aperol Sprizz tranken, der mit einer fetten
Olive serviert wurde, lehnten sie sich aneinander und genossen nicht nur die Sonnen-,
sondern auch die Körperwärme des jeweils anderen. Lupino schloss die Augen und döste
vor sich hin, wobei ihm das Kunststück gelang, eine Viertelstunde lang ins Reich
der Träume hinüberzugleiten. Eine heftig tutende Fähre, die Autos vom Lido zur Piazzale
Roma transportierte, weckte ihn. Er sah zu Luciana und merkte, dass sie ebenfalls
eingenickt war. Und da fiel ihm das gemeinsame Erwachen an diesem Dienstagmorgen
ein. Dabei spielte die Champagnerflasche, die ihm einer von ›Il piccolettos‹ Handlangern
mit den besten Empfehlungen seines Chefs in der Osteria da Marcello vorbeigebracht
hatte, eine nicht unbedeutende Rolle. Von diesem Champagner war noch ein kleiner
Schluck übrig geblieben. Und da Luciana sich abgedeckt und nackt am Rücken im Bett
gelegen hatte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, diesen letzten Schluck
in ihren Bauchnabel rinnen zu lassen. Mit einem spitzen Schrei war sie aus dem morgendlichen
Dämmerschlaf aufgeschreckt. Nach einem empörten »Scemo! [60] « hatte sie ihn dann die Champagnerreste
aus ihrem Nabel schlürfen lassen. Da das einerseits gut schmeckte und andererseits
ziemlich kitzelte, hatte seine verrückte Idee zu einem zärtlichen morgendlichen
Liebesspiel geführt. Als sie danach verschwitzt und ermattet im Bett gelegen hatten,
hatte Luciana nach dem kleinen Billett, das mit Spagat am Hals der Champagnerflasche
angebracht war, gegriffen und halblaut ›Il piccolettos‹ Widmung vorgelesen:
A
Lupino Severino. Un vero detective. [61]
Gerhard Loibelsberger
Mord und Brand
E-Book: 978-3-8392-3696-3 / Buch: 978-3-8392-1217-2
»Erneut liefert Gerhard Loibelsberger einen historischen Kriminalroman
der Extraklasse aus dem Wien der Jugendstilzeit und den letzten Tagen Gustav
Mahlers.«
Wien, 27. Juli 1911. Ein Großbrand
wütet auf den Holzlagerplätzen am
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