Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Büro des Vicequestore führte. Die Kröte zischte
bösartig, aber sie hatte schon die Tür geöffnet und war hineingeschlüpft. Ihr Vorgesetzter
las gerade Zeitung. Er blickte kurz auf und las dann einfach weiter. So als ob sie
nicht da wäre. Sie versuchte ihm die ganze Sache zu erklären, doch der alte Mann
hörte nicht zu. Im Gegenteil. Er griff zum Telefon und rief, während sie zu ihm
sprach, bei seinem Friseur an. Er plauderte mit ihm und vereinbarte einen Termin.
Das war zu viel. Silvana drehte sich um und ging. Im Vorzimmer grinste die Kröte
bösartig. Sie leckte sich mit ihrer fetten Zunge übers Maul und rief der wütend
hinaus eilenden Viti nach:
»Saluti
a Giancarlo! Un bellissimo uomo. [41] «
Sechsunddreißig
Das ständige Pizzafressen ging ihm
mächtig auf den Sack. Andererseits wollte er so wenig wie möglich Aufsehen erregen.
Das hier war wie ein Einsatz der Special Forces. Unerkannt in feindliches Gebiet
eindringen, Job erledigen und so rasch wie möglich wieder hinaus. Wham bam thank
you Ma’am! Nicht ablenken lassen, volle Konzentration, größtmögliche Präzision.
Gegen letztere Maxime hatte er sowieso schon verstoßen. Eigentlich hätte er Marco
liquidieren müssen. Andererseits wozu? Das Kind verdiente seine Anerkennung. Die
Mutter war dauernd arbeiten, der Vater fort und kein Geld in der Haushaltskasse.
Das erinnerte ihn verdammt an seine eigene trostlose Kindheit. Und Marco tat das,
was er damals ebenfalls getan hatte: Er hatte sich nach einem Job umgeschaut, um
ein bisschen Geld zu verdienen. Zusätzlich hatte er beobachtet und festgestellt,
dass Marco in der kleinen Pizzeria unentbehrlich geworden war. Er entlastete Signor
Bruno merklich. Dem alten Mann wäre das Herz gebrochen, wenn er Marcos Leiche im
Kanal, so wie die drei anderen Leichen, entsorgt hätte. Bullshit! Er leistete sich
Sentimentalitäten. Das war gefährlich. Fuck it! Er hätte nie diesen Job in Venedig
annehmen sollen. Allerdings vier Millionen Dollar waren auch keine Kleinigkeit.
Solche Jobs kamen nicht alle Tage. Vier Millionen Dollar … Da hatte er schon für
viel weniger Geld Menschen vom Diesseits ins Jenseits befördert.
Signor Smith hatte sich fein gemacht.
Frische Jeans, frisches T-Shirt und darüber seine Barbour Jacke. Schließlich regnete
es. Ein befreiendes Gefühl. Ende September gab es nun endlich Regen. Gewaltige Niederschläge,
die die Hitze sowie die unzähligen Touristen aus den Gassen Venedigs spülten. Ja,
der Dauerregen trieb sie hinein, die Touristenhorden. In die Museen, Kirchen, Bars
und Restaurants. Dort saßen sie mit verdrossenem Blick und starrten in die trübe,
regengraue Lagunenstadt hinaus. Sowohl vor neugierigen Blicken als auch vor dem
stetig plätschernden Regen geschützt, wanderte er unter der Kapuze seiner Barbour
Jacke durch die zauberhaft leere Stadt. Er spazierte in Richtung Rialto, überquerte
aber die Brücke nicht. Es zog ihn zum Rialto-Markt, der ausnahmsweise ziemlich leer
und verlassen war. Die Händler standen rauchend und manche auch frierend unter den
riesigen Planen, die über die Tische gespannt waren, auf denen die Pracht und die
Herrlichkeit des herbstlichen Gemüse- und Obstangebots ausgebreitet waren. Die Farben
schienen ihm heute besonders intensiv zu leuchten. Kein Wunder, schließlich war
alles ein bisschen feucht und glänzte besonders bunt im trüben Licht des Regentages.
Rotbackige Äpfel stachen ihm ins Auge und er kaufte einen. Als er hineinbiss und
das knackige Fruchtfleisch kaute, atmete er tief durch. Er genoss das fruchtig herbe
Aroma des Apfels und schwor sich, nach Beendigung dieses Jobs ausgiebig Urlaub zu
machen. Der Apfel hatte seinen Gusto auf ein gehaltvolles, gutes Essen dermaßen
verstärkt, dass er, ohne lange zu überlegen, in eines der Lokale am Markt ging.
Es war zum Bersten voll, doch er fand einen Hocker und ein kleines Tischchen in
einem Eck. Er bestellte sich Sarde in saòr und ein Glas Weißwein. Als er die süßsauer
marinierten Sardinen verspeiste, schloss er die Augen und gab sich konzentriert
dem Genuss dieser uralten venezianischen Vorspeise hin. Da seine Gier nach lange
entbehrten Genüssen noch nicht gestillt war, bestellte er sich danach einen Risotto
alla Bechèra. Auch hier schloss er beim Essen die Augen. Speziell die im Risotto
enthaltene Hühnerleber bereitete seinem Gaumen allergrößtes Vergnügen. Wie lange
hatte er schon keine Hühnerleber mehr gegessen? Es musste Jahrzehnte her sein. Bevor
er nach Amerika
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