Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
seinen berührte.
Da Lupino wusste, dass Luciana es hasste, Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit auszutauschen,
schätzte er diesen diskreten Liebesbeweis umso mehr. Er saß vor seinem dritten Glas
Ribolla Gialla und träumte vor sich hin. Er dachte an die letzten Nächte, die er
gemeinsam mit ihr verbracht hatte, und genoss das Gefühl, verliebt zu sein. Eine
vertraute Stimme riss ihn aus seinen Tagträumereien:
»Mensch!
Is dat ein Hundewetter! Buon giorno a tutti!«
Diese wilde
Mischung aus Deutsch und Italienisch brachte Lupino zum Grinsen. Er drehte sich
um und erblickte einen patschnassen Ranieri. Der schüttelte das Wasser von seinem
Trenchcoat, strich es sich aus seinem dichten, grauen Haar und bestellte bei Marcello,
der hinter der Bar gedöst hatte:
»Un
espresso e una doppia grappa! [43] «
Und zu Lupino
gewandt, brummte er:
»Eigentlich
bin ich im Moment staubtrocken. Aber bei diesem Hundewetter braucht der Mensch Schnaps.
In Deutschland hätte ich jetzt ’nen doppelten Korn bestellt. Das hilft. Hat immer
geholfen. Gegen Verkühlung und so Scheiß.«
Lupino grinste
neuerlich. Die Gewohnheiten, die er sich während seines Germanistikstudiums in Bochum
angeeignet hatte, würde Ranieri wohl in diesem Leben nicht mehr ablegen. Als Marcello
das Gewünschte vor Ranieri auf die Bar gestellt hatte, hob Lupino sein Glas und
sagte:
»Gesundheit,
Ludwig!«
Ranieri
gab ein zackiges »Prost!« von sich und kippte den doppelten Grappa in einem Zug
hinunter. Marcello griff zur Grappaflasche und fragte:
»Ancora? [44] «
Ranieri
zögerte einen Augenblick lang, winkte dann jedoch ab:
»No, grazie!«,
zu Lupino gewandt fuhr er fort, »Ich bin im Moment trocken. Staubtrocken. Ich konzentriere
mich voll auf den Killer. Ich muss ihn finden. Und ich werde ihn finden. Ich lass
mich von dem Kerl nicht länger verkackeiern.«
Lupino nahm
einen Schluck Ribolla Gialla und bekam ein schlechtes Gewissen. Was tat er eigentlich
hier? War er verrückt geworden, dass er in Marcellos Osteria herumlungerte und Lucianas
Schenkelwärme genoss, statt draußen im Regen unterwegs zu sein und den Killer zu
suchen? Das und nichts anderes war sein Job. Dafür wurde er bezahlt. Von Philipp
Mühleis. Und von ›Il piccoletto‹. Dem Ersten wollte er, dem Zweiten
aber musste er Ergebnisse liefern. Alles andere war lebensgefährlich. Er rutschte
unruhig auf dem Barhocker hin und her. Ranieri nippte an seinem Espresso, stellte
die Schale behutsam zurück auf die Theke, rührte mit dem Mokkalöffel darin um und
sagte leise:
»Ich dürfte
dir diese Information eigentlich nicht geben. Aber wir haben beide schon so viel
Zeit und Arbeit in diesen Fall hineingesteckt, dass du es auch wissen sollst: Die
Spurensicherung hat an allen drei Knabenleichen Spuren von Gips gefunden.«
Lupino zog
den Schädel ein und nuschelte:
»Spuren
von Gips?«
Ranieri
nickte und sagte in verschwörerischem Tonfall:
»Deshalb
überprüfen wir jetzt alle Spitäler. Und alle, die dort arbeiten.«
Einundvierzig
Als Lupino voll Unruhe und Selbstvorwürfen
neben Ranieri an der Bar saß, läutete sein Handy. Eine unbekannte Nummer. Lupino
musste sofort an ›Il piccoletto‹ denken. Er räusperte sich und meldete sich
mit einem unsicher klingenden »Pronto«.
»Herr Severino?«,
meldete sich eine ihm unbekannte, Wienerisch sprechende Männerstimme.
»Ja bitte.
Was kann ich für Sie tun?«
Die Stimme
lachte kurz und trocken:
»Für mich?
Nix. Aber für Philipp Mühleis. Bender hier, Adi Bender. Ich bin der Regisseur des
TV-Dreiteilers, den wir gerade da in Venedig drehen. Ich war bei Philipp Mühleis
im Spital und er bittet Sie, ihn dort zu besuchen.«
Lupino war
überrascht.
»Ich habe
schon mehrere Tage nichts von ihm gehört. Wie geht’s ihm denn?«
»Wenn Sie
mich persönlich fragen: Nicht so gut. Aber das ist nur meine Meinung. Also sind
S’ so gut und schaun S’ bei ihm vorbei. Er liegt im Ospedale Civile
am Campo San Giovanni e Paolo. Schönen Tag noch, wiederschau’n!«
Lupino murmelte
ein »Grüssie«, doch Bender hatte bereits aufgelegt. Alora, jetzt musste er hinaus.
Die Zeit des Handelns war gekommen. Er trank den restlichen Weißwein aus, klopfte
Ranieri auf die Schulter und strich über Lucianas Hand. Er rief: »Ciao Marcello!«,
und ehe sich die anderen versahen, war er mit aufgesetzter Kapuze draußen im gleichmäßig
plätschernden Regen verschwunden.
Die Nässe kroch durch alle Ritzen
und Schlitze seiner Kleidung. Oben tropfte
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