Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Familie. Beruflich nervt dieser Kerl.«
Lupino nahm
einen Schluck Wein und dachte an die Zeit zurück, als Ranieri und er noch Kollegen
waren. Damals, bevor der neue Vicequestore Dr. Renzo Mastrantonio gekommen war.
Dieser hatte ihn binnen kürzester Zeit hinausgeschmissen. Von heute auf morgen musste
er Abschied aus dem Polizeidienst nehmen. Ohne finanzielle Abfindung. Es gab einzig
die Zusage, ihm beim Erwerb einer Schnüfflerlizenz keine Steine in den Weg zu legen.
Also war er Privatdetektiv geworden. Ein lausiger Job, besonders in Venedig. Wer
brauchte hier schon einen privaten Ermittler?
»Wolfgang,
ich habe einen Klienten für dich.«
Lupino verschluckte
sich. Ein Hustenanfall folgte. Sein Gesicht lief rot an, Luciana klopfte ihm mütterlich
auf den Rücken. Schließlich krächzte er:
»Du hast
einen Job für mich?«
Ranieri
nickte, packte Lupino bei der Schulter und sagte ernst:
»Morgen
wird dich dieser Österreicher, der Vater des ermordeten Buben, anrufen. Ich habe
ihm deine Telefonnummer gegeben. Er möchte unbedingt einen privaten Ermittler engagieren.
Also sei so gut und geh morgen an dein Handy.«
Ranieri
gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, stand auf und ging zur
Tür.
Dort drehte
er sich um und sagte mit sanfter Stimme:
»Marcello! La birra … la pagherò la prossima
volta. [6] «
Und zu Lupino
gewandt fügte er hinzu:
»Ich erwarte
keinen Dank. Ich möchte dich nur um eines bitten: Halte mir diesen Mühleis, diesen
österreichischen Vater, vom Leib.«
Fünf
Die Glocken einer der zahlreichen
Kirchen Venedigs schlugen in der Ferne zehn Uhr. Ein bleicher, hagerer Mann mit
kräftigen Händen und sehnigen Unterarmen sperrte die Tür seines Geschäftes auf.
Es war eine Rahmenhandlung, wie es so manch andere auch in Venedig gab. Vollgeräumt
mit üppigen, vergoldeten Bilderrahmen, mit denen mehr oder weniger wertvolle Schinken
ins rechte Licht oder besser gesagt in ein besseres Licht gerückt wurden. Die Rahmenhandlung
und Vergolderwerkstatt gab es schon seit Jahrzehnten. Da der bisherige Eigentümer
plötzlich verreisen musste, war der hagere Mann als Vertretung eingesprungen und
führte nun das Geschäft. Signora Umberti, die zwei schmale Gässchen weiter in einer
riesigen Wohnung hauste, war sehr angetan von dem Neuen. Denn im Gegensatz zu dem
Eigentümer des Ladens, der sich beharrlich geweigert hatte, ihre grottenschlechte
Tintoretto-Kopie mit einem edlen Rahmen zu versehen, nahm die Aushilfe den Job an.
Binnen zwei Wochen hatte er für das Gemälde einen so wundervollen Rahmen angefertigt,
dass Signora Umberti beim ersten Anblick die Luft weggeblieben war. Dann aber verkündete
sie in der gesamten Nachbarschaft das Lob über die handwerklichen Fähigkeiten des
neuen Rahmenmachers. Und so kamen nun auch andere, neue Kunden, die zu dem alten
Cecchetti, der ein echter Griesgram und dazu auch noch recht streitsüchtig war,
niemals gekommen wären. Dem bleichen, hageren Mann war das alles nicht sonderlich
recht. Doch er hatte gute Gründe, freundlich zu seinen Kunden zu sein. Schließlich
war dieses Rahmengeschäft die perfekte Tarnung für seinen eigentlichen Job. Mit
viel Sorgfalt und gar nicht so geringem Zeitaufwand hatten seine Verbindungsleute
dieses Geschäft, zu dem auch ein ganzes Haus mit einem Wassergeschoss gehörte, ausgesucht.
Letzteres garantierte einen direkten Zugang zu Venedigs Kanälen, was für die Erledigung
seines Jobs wichtig war. Dann hatte er den alten Cecchetti gezwungen, die Geschichte
von seiner bevorstehenden Reise und seiner Vertretung im Viertel herumzuerzählen.
Als diese Nachricht die Runde gemacht hatte, hatte er den kleinen, krummen Alten
erwürgt, ihn wie eine Salami verschnürt und ihn in den Abstellraum ganz hinten im
Haus in einen mächtigen barocken Kasten gehängt. Cecchettis Tochter, die er zu Beginn
dieses Jobs in New York in seine Gewalt gebracht hatte, war liquidiert worden. Im
naiven Glauben, dass er das Leben seiner Tochter retten könnte, hatte Cecchetti
bei dem ganzen Schwindel mitgespielt. Vergebens. Bei diesem Job brauchte der ›Sculptor‹
keine Zeugen. Und die Profis, mit denen er in New York zusammengearbeitet hatte,
sahen das ähnlich. ›The Sculptor‹ war sein Spitzname diesseits und jenseits des
Atlantiks. Dem bleichen, hageren Mann, der pünktlich um zehn Uhr die Vergolder-
und Rahmenwerkstatt im Dorsoduro aufsperrte, sah man nichts von all dem an. Denn
er hatte sich im Laufe der Jahrzehnte ein perfekt
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