Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Silvana Viti bedankten sich bei ihr und eilten davon.
Als sie
wenig später das Restaurant betraten, war es kurz vor zwölf Uhr Mittag. Einige Tische
waren schon von Touristen besetzt. Das sind sicher Österreicher oder Deutsche, dachte
Lupino, die essen immer so früh. Ranieri ging schnurstracks zum Oberkellner, zeigte
seinen Ausweis und fragte nach Signora Canella. Der zuckte jedoch die Schultern
und meinte, die sei vor einer halben Stunde, als ein alter Herr hier erschienen
war, plötzlich weggelaufen. Er wisse nicht, wohin. Nun standen Ranieri, Viti und
Lupino wie begossene Pudel da. Wo war Signora Canella hin verschwunden? Und wer
war der alte Herr? Sie stellten sich an die Theke und bestellten einen Aperitif.
Genau genommen hatten Silvana und Lupino ein Glas Prosecco beziehungsweise ein Glas
Vino bianco geordert, während sich Ranieri für einen Espresso entschied. Und als
sie so schweigend dastanden und grübelten, fiel es Lupino plötzlich wie Schuppen
von den Augen.
Sechzig
Durch überflutete Gässchen und über
wasserbedeckte Plätze führte sie ihr Weg zum Spital S.S. Giovanni e Paolo. Kurz
bevor sie das Spital erreichten, meldete sich Lupinos Handy mit einem merkwürdig
aggressiven Klingelton. Ranieri hob die linke Augenbraue und fragte:
»Mensch!
Einen noch hässlicheren Klingelton hättest du wohl nicht finden können.«
Lupino lächelte
verlegen und antwortete:
»Das ist
Laura. Die Chefin von Venice Tours.«
Während
Ranieri grinste und Silvana Viti verständnislos die beiden ansah, hob Lupino ab.
Er wollte nicht glauben, was ihm Laura erzählte. Sie hatte für heute 13.30 Uhr eine
Österreicher-Gruppe gebucht, die tatsächlich auch bei Acqua alta die Führung machen
wollte. Da die ursprünglich vorgesehene Führerin Signora Voterra sich weigerte,
bei diesem Wetter außer Haus zu gehen, bat Laura Lupino flehentlich einzuspringen.
Lupino seufzte. Wenn eine Frau ihn so lieb und vor allem so verzweifelt um Hilfe
bat, hatte er keine Chance. Auch wenn diese Frau die sonst so knallharte Laura Bagotti
war. Da Lupino nun nach San Marco musste, trennten sich ihre Wege. Die beiden Polizisten
gingen weiter in Richtung Spital, wo sie Marco, seine Mutter und vor allem Signor
Veneto zu finden hofften.
Beim Portier
erkundigten sich Ranieri und Viti, wo denn Marco Canella liege. Nach einigem Herumtelefonieren
und Suchen erfuhren sie die Zimmernummer. Dort fanden sie einen an diversen Infusionsschläuchen
hängenden Marco, dessen Mutter sowie den dringend gesuchten Signor Veneto. Ranieri
kam nach ein paar Höflichkeitsfloskeln sofort zur Sache. Er fragte den Pizzabäcker,
ob er sich an die dunkle Kiste erinnern könne, die in Cecchettis Geschäftsraum auf
zwei Sesseln gestanden hatte. Der alte Mann kratzte sich am Kopf und fragte, ob
er die Kiste meine, die zwei Speditionsarbeiter abgeholt hätten. Das war genau zu
dem Zeitpunkt gewesen, als die Sanitäter gekommen waren und den unterkühlten Marco
in so eine futuristisch aussehende Silberfolie eingepackt hatten. Ranieri schaute
verblüfft. Speditionsarbeiter? Woher wisse er das? Signor Veneto lächelte und antwortete,
das sei klar ersichtlich gewesen. Schließlich hätten beide Regenjacken getragen,
auf denen groß der Schriftzug einer Spedition zu lesen war. Allerdings könne er
sich nicht mehr an den Namen der Spedition erinnern. Sein Gedächtnis … Es sei ein
Jammer! Sein Gedächtnis lasse ihn immer öfter im Stich.
Auf ihrem Weg zurück zur Questura,
das Hochwasser zog sich zum Glück allmählich zurück, telefonierte Silvana Viti mit
Enrico Botterolli. Sie gab ihm Anweisung, alle in Venedig, Mestre und Marghera ansässigen
Speditionen anzurufen und zu fragen, ob sie heute am Vormittag im Dorsoduro, in
Cecchettis Haus, eine Kiste abgeholt hatten. Als sie in ihrem Büro eintrafen, telefonierte
Botterolli noch immer. Bisher hatte er kein Ergebnis erzielt, wobei zwei große Speditionen
sich weigerten, per Telefon Auskunft über ihre Kunden zu geben. Ranieri seufzte.
Eigentlich hatte er einen mordsmäßigen Hunger. Andererseits musste diese Sache mit
der Spedition geklärt werden. Also machten sich Silvana und er neuerlich auf die
Socken. Dazu organisierte er einen Dienstwagen. Dieser brachte die beiden Polizisten
von der Piazzale Roma über den Damm nach Mestre. Sie kamen überein, dass sich Silvana
Viti die Spedition im Hafen von Marghera und Ranieri die andere, deren Büro sich
am Stadtrand von Mestre direkt neben der Autobahn befand, vornahm. Er
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