Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
standen, vor Augen. Halblaut sagte er:
»La Quadriga.«
Und während
die Uniformierten und der Schlosser wie erstarrte Salzsäulen dastanden, Stravinskys
Klängen lauschten und die vergoldeten Skulpturen angafften, beugte sich Ranieri
zu Silvana Viti und flüsterte:
»Quello
a destra è Marco Canella … e quello li a sinistra è Johannes Mühleis. [55] «
Ranieris
Kollegin nickte und fügte hinzu:
»Il
secondo da destra è Andrea Ponti e l’ultimo è … Raffaele … Raffaele Benvenuto. [56] «
Ranieri
wurde nun endgültig schlecht. So etwas Abartiges hatte er noch nie in seinem nun
schon ziemlich lange andauernden Polizistenleben gesehen. Er drehte sich abrupt
um und ging hinaus an die frische Luft. Zum Glück hatte er nichts im Magen. Sonst
hätte er neuerlich gekotzt. Silvana kam nach und klopfte ihm mitfühlend auf die
Schultern. Ranieri bat sie, die Spurensicherung zu rufen. Während sie warteten,
ging Ranieri wie ein gereizter Tiger auf und ab. Schließlich nahm er Silvana Viti
zur Seite und schilderte ihr die Theorie, die er gerade ausgebrütet hatte: Dass
es sich seiner Meinung nach um zwei bis drei Täter handle. Einer sei der Auftraggeber
und Regisseur dieses abartigen Irrsinns. Der Master of Ceremonies. Der andere, der
in Cecchettis Haus gewohnt und die Figuren angefertigt hatte, sei der Killer. Ein
Killer mit kunsthandwerklichen Fähigkeiten und bildhauerischer Begabung. Eine äußerst
ungewöhnliche Kombination. Deshalb sprach vieles dafür, dass es vielleicht sogar
drei Täter waren – ein Auftraggeber, ein Killer und ein Künstler. Die Einzeltäter-Theorie
war jedenfalls Schnee von gestern. Silvana hörte ihm konzentriert zu und nickte.
Das, was Ranieri sagte, machte Sinn. Als die Spurensicherung schließlich kam und
mit ihrer Arbeit begann, ließen sich Ranieri und Viti von einem Streifenwagen nach
Venedig zurückfahren. Auf ausdrücklichen Wunsch Ranieris saß Silvana Viti vorn.
Er hingegen verkroch sich hinten auf den Rücksitz und begann sofort nach der Abfahrt
zu telefonieren. Aufgrund der Gesprächsfetzen, die Silvana auffing, wurde ihr klar,
dass er mit seiner Tochter, die in einem teuren Internat untergebracht war, sprach.
Obwohl Silvana keine eigenen Kinder hatte, verstand sie Ranieri. Die Quadriga aus
drei ermordeten und einem im letzten Moment geretteten Kind war Ranieri merklich
an die Nieren gegangen. An der Piazzale Roma angekommen, verabschiedeten sie sich
und gingen getrennte Wege. Ranieri, der in Santa Croce wohnte, war nach nicht einmal
fünf Minuten zu Hause. Als er aufsperrte und die Wohnung betrat, fand er seine Frau
auf der Wohnzimmercouch liegend und lesend vor. Sie stand auf und fragte ihn, ob
er etwas essen wolle. Er nickte und umarmte sie. Doch dann konnte er sich nicht
mehr beherrschen. Er drückte sie ganz eng an sich, vergrub seinen Kopf in ihr Haar
und begann an ihrer Schulter hemmungslos zu weinen.
Zweiundsechzig
Er lag im Dunkeln auf dem Bett in
seinem Zimmer. Er sah auf den abendlichen See hinaus, in dem sich die Lichter von
Lugano spiegelten. Immer wieder nippte er an einem 16 Jahre alten Macallan und genoss
die Wärme, die dieser milde Malt Whisky in seinem Magen verströmte. Das Leben war
wunderbar. Zuvor hatte er eine Viertelstunde lang heiß geduscht und die ganze widerliche
Geschichte, die hinter ihm lag, weggespült. Er fühlte sich sauber. Innerlich und
äußerlich gereinigt. Die heiße Dusche war eine echte Katharsis gewesen. Nun kam
er sich wie ein neuer Mensch vor. Ob er heute noch ausgehen sollte? Mit zunehmendem
Whiskygenuss kam sein altes Ich zum Vorschein. Der pflichtbewusste, mit der Präzision
einer Maschine arbeitende Spezialist für Tötungs- und Kunstdiebstahlsdelikte war
zurück in den Schatten getreten. Endlich durfte er wieder der sein, der er wirklich
war: ein Genussmensch. Ein Bonvivant, der das Leben liebte und der gern in den Tag
hinein lebte. Ein Mann, der teure Spirituosen, teure Weine, teure Restaurants und
teure Frauen schätzte. Ob es hier in Lugano Luxusnutten gab? Warum nicht? Geld war
genug hier. Und überall, wo vermehrt Männer mit dicken Brieftaschen auftraten, gab
es auch Luxusnutten. Er grinste. Wahrscheinlich bräuchte er nur zum Portier hinuntergehen,
diesem einen 10-Franken-Schein zustecken und ihn nach einer geeigneten Adresse fragen.
Aber dazu war es noch zu zeitig. Mit Genuss vergrub er seine Zehen in die wärmende
Wolldecke, die er sich über das dünne Leinentuch gezogen hatte. Keine nassen Füße
mehr. What
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