Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
a fuckin’ feeling … Mit Schaudern erinnerte er sich daran, wie er heute
frühmorgens mit seinen alten Stiefeln durch das Hochwasser gestapft war. Fuck! Mit
eiskalten, klatschnassen Füßen hatte er den Vorortzug in Santa Lucia bestiegen.
In Mestre war er dann in der Nähe des Bahnhofs in ein Caffè gegangen und hatte heißen
Caffè latte getrunken. Und weil er hungrig wie ein ganzes Wolfsrudel gewesen war,
hatte er drei Tramezzini mit Prosciutto e Uova verschlungen. Dann war da noch diese
Müdigkeit gewesen, diese elendige Müdigkeit. Dagegen half nur ein Espresso doppio
und dann noch einer. Zurück am Bahnhof hatte er sich seines Handys entledigt, nachdem
er es zuvor abgeschaltet hatte. Gemeinsam mit klebrigen Essensresten, leeren Bechern,
zusammengeknüllten Papierservietten und allerlei anderem Restmüll würde es irgendwo
im Abfallmeer einer Deponie verschwinden. Damit war eine der beiden Spuren, die
von dem Perversen zu ihm führte, gelöscht. Mit immer noch eiskalten, nassen Zehen
war er um 7.10 Uhr in den nächsten Zug eingestiegen. Während der knapp zweieinhalb
Stunden Zugfahrt nach Milano schlief er tief und fest. Verschlafen und im Kopf noch
ziemlich verwirrt war er in Milano aus der imposanten Stazione Centrale hinaus und
über die gewaltige Freitreppe des Bahnhofs hinein ins Straßengewirr der Stadt getaumelt.
Ohne Ziel und ohne Plan. Nach einigem Herumirren hatte er plötzlich vor einem Bekleidungs-
und Schuhgeschäft gestanden. Und da sich seine Füße und sein ganzer Körper nach
trockenen, weichen Schuhen sehnten, war er einfach hineingegangen und hatte sich
ein Paar Socken sowie ein Paar neue Sneakers gekauft. Danach fühlte er sich wie
neu geboren. Entspannt war er zurück zur Stazione Centrale spaziert, dort hatte
er in einem Mistkübel seine nassen Fallschirmspringerstiefel entsorgt und sich danach
ein Ticket nach Lugano gekauft.
Um 12.13
Uhr war er schließlich in Lugano angekommen und in eines der vor dem Bahnhof wartenden
Taxis gestiegen, das ihn zum ›Hotel Splendide Royal‹ gebracht hatte. In diesem 1887
eröffneten Fünf-Sterne-Hotel, das er sehr liebte, hatte er schon öfter angenehme
Tage verbracht. Diesmal bezog er einen Deluxe Room mit Blick auf den See. Hier kannte
man ihn als Signor Rossetti, ein italo-amerikanischer Millionär mit einem Faible
für Lugano. Als immer wieder hier logierender Gast hatte er zu Mittag im hoteleigenen
Restaurant ›La Veranda‹ einen wunderbaren Fensterplatz mit Blick auf den See. Er
schlemmte, wie wenn er wochenlang nichts zu essen bekommen hätte: als Vorspeise
›King Prawns with a cream of leak and caviar from Asturia‹, dann verschlang er ›Lamb
Loin with artichoke pie‹ und zum Drüberstreuen gönnte er sich als Dessert ›Green
apple slices with pine nut syrup, raisins and pomegrate, cinnamon icecream‹. Beim
Alkohol hatte er sich allerdings zurückgehalten. Einzig ein Glas Rotwein gönnte
er sich zum Lamm, sonst nur Mineralwasser. Mit vollem Magen, aber klarem Kopf hatte
er sich dann in die Innenstadt von Lugano begeben und eine elegante Reisetasche
gekauft. Damit war er bei der Bankfiliale, bei der er vor dem Beginn dieses Jobs
ein Konto eingerichtet hatte, erschienen. In einem Nebenraum der Schalterhalle ließ
er sich die vier Millionen Dollar in Schweizer Franken, Euro und Dollar auszahlen.
Die Bargeldbehebung hatte er zwei Tage im Voraus telefonisch angekündigt. Dann löste
er das Konto auf, verabschiedete sich von seinem Bankbetreuer und ging. Die Reisetasche
mit dem Geld hatte er anschließend zu einer anderen Bank getragen und von dort auf
sein Konto in den USA überwiesen. Tja, und seit diesem Augenblick war er wirklich
unauffindbar. Die letzte Verbindung zu dem Perversen in Venedig, die Bankverbindung,
war gekappt. Nun würde er sich einen netten Ruhetag in Lugano gönnen und anschließend
über Zürich zurück in die USA reisen. Dort würde er das Geld abheben und das Konto
auflösen. Anschließend kam dann die Gesichtsoperation dran. Damit war Signor Smith
für immer spurlos verschwunden.
Dreiundsechzig
Nach einer unruhigen Nacht, in der
er ständig von seiner ›Quadriga‹ geträumt hatte, wurde er morgens von einer besonders
lästigen Lachmöwe geweckt. Sie schien sich über die Tatsache, dass ihn sein Werk
bis in seine Träume verfolgte, lustig zu machen. Ständig hörte er ihren höhnischen,
einem menschlichen Lachen so verblüffend ähnlichen Schrei. Nach einer ausgiebigen
morgendlichen Dusche kehrte sein sich
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