Qual
so ernst genommen? Und wieso ›Berichte aus fünfter Hand‹? Er hat doch sicher die ganze Geschichte gelesen?«
»Violet hat die Anklage fallenlassen. Sie ist ein Idiot, aber manchmal tut sie solche Dinge. Also gab es keine Gerichtsverhandlung und keine offizielle Version der Ereignisse. Aber irgend jemand von der Polizei muß geplaudert haben…«
Mosala betrat den Raum, und wir begrüßten uns. Sie warf De Groot einen neugierigen Blick zu, denn sie stand immer noch so nahe bei mir, und es war unübersehbar, daß wir leise miteinander gesprochen hatten.
Ich versuchte das plötzliche Schweigen zu überbrücken. »Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Gut. Sie steckt gerade mitten in wichtigen Verhandlungen mit Thought Craft, so daß sie nicht viel Schlaf bekommt.« Wendy Mosala leitete eine der größten Software-Firmen Afrikas, die sie innerhalb von dreißig Jahren aus einem Einpersonenbetrieb aufgebaut hatte. »Sie bemüht sich um eine Lizenz für die Kaspar- Softklone, zwei Jahre vor der offiziellen Markteinführung, und wenn sich alles günstig entwickelt…« Sie riß sich zusammen. »Natürlich ist all das streng vertraulich, klar?«
»Natürlich.« Kaspar stellte die nächste Generation der pseudo-intelligenten Programme dar und machte gegenwärtig in Toronto eine verlängerte Kindheit durch. Anders als Sisyphus und seine zahllosen Vettern – die als komplett ausgereifte ›Erwachsene‹ ausgeliefert wurden – gönnte man Kaspar eine Lernphase. Das Programm war damit menschenähnlicher als alles, was in dieser Richtung bisher versucht worden war. Ich persönlich fand diese Vorstellung ein wenig beunruhigend, und ich war mir gar nicht sicher, ob ich einen Softklon haben wollte – eine eingeschränkte Kopie des Originals, die in meinem Notepad steckte und als mein Sklave niedere Tätigkeiten verrichtete, nachdem die Komplett-Software ein Jahr lang damit verbracht hatte, Kinderlieder zu singen und mit Bauklötzen zu spielen.
De Groot ging. Mosala ließ sich in den Sessel fallen, der mir gegenüber stand, so daß sie genau im Lichtkegel saß, den die Sonne durch das Dachfenster ins Zimmer warf. Das Gespräch mit der Familie schien ihr gutgetan zu haben, doch im hellen Licht sah sie müde aus.
»Sind Sie bereit?« fragte ich.
Sie nickte und lächelte matt. »Je früher wir beginnen, desto schneller ist es vorbei.«
Ich rief Witness auf. Die Sonnenstrahlen würden im Verlauf des Interviews weiterwandern, doch die Schnittkonsole konnte die Helligkeitswerte aller reflektierenden Oberflächen umrechnen und die Aufnahmen mit schmeichelhafteren Lichtquellen ausstatten.
»War Ihre Mutter für Sie der erste Anstoß, sich für die Wissenschaft zu interessieren?« fragte ich.
Mosala verzog das Gesicht und antwortete in angewidertem Tonfall: »Woher soll ich das wissen? War Ihre Mutter dafür verantwortlich, daß Sie mit solchen dummen…« Sie verstummte und schaffte es, gleichzeitig zerknirscht und verärgert auszusehen. »Entschuldigen Sie, bitte. Können wir noch einmal von vorne anfangen?«
»Nicht nötig. Machen Sie sich keine Gedanken über die Kontinuität, das ist nicht Ihr Problem. Reden Sie einfach weiter. Und wenn Sie es sich mitten in einer Antwort anders überlegen, dann fangen Sie einfach noch einmal an.«
»Gut.« Sie schloß die Augen und ließ den Kopf für einen Moment erschöpft im Sonnenlicht hängen. »Meine Mutter. Meine Kindheit. Meine Rollenvorbilder.« Sie öffnete die Augen und blickte mich flehend an.
»Können wir diesen Quatsch nicht einfach abhaken und gleich über die UT reden?«
»Ich weiß, daß es Quatsch ist«, sagte ich geduldig, »und Sie wissen, daß es Quatsch ist, aber wenn die Leute vom Network sehen, daß die Quote der prägenden Kindheitseinflüsse nicht erfüllt wurde… dann werden sie diesen Beitrag um drei Uhr nachts nach einer kurzfristigen Programmänderung ausstrahlen, auf einem Sendeplatz, der ursprünglich für ein Special über therapieresistente Hautkrankheiten vorgesehen war.« Die SeeNet-Verantwortlichen (die natürlich behaupteten, im Namen aller Zuschauer zu sprechen) hatten strenge Richtlinien für Porträts aufgestellt, soundsoviele Minuten über die Kindheit, über Politik, über gegenwärtige Beziehungen und so weiter – ein Malen-nach-Zahlen-Schema zur Erfassung menschlicher Persönlichkeiten und eine Schablone, mit der man sich selbst vorgaukeln konnte, daß man einen Menschen hinreichend erklärt hatte. Eine Art externalisierte Version des
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