Qual
und erschüttert.
Ich zwängte mich an den Ständen und kleinen Zelten vorbei, wich Goldfischglas-Jongleuren und Handstelzengehern aus und war im großen und ganzen von den Kunststücken beeindruckt, auch wenn der eintönige Gesang der Straßenmusikanten mir das Gefühl vermittelte, Spießruten zu laufen. Während die Mitglieder von Demütige Wissenschaft auf jeder Pressekonferenz erschienen waren und sich alle Mühe gaben, den Ton des Schlagabtausches zwischen Walsh und Mosala zu treffen, war die MR im Vergleich dazu angenehm leise geblieben. Ich hegte bereits den Verdacht, daß es sich um eine bewußte Strategie handelte, um ein Gut-und-Böse-Spiel zwischen den Kulten, mit dem sie unter dem Strich Sympathien sammeln wollten. Die Demütige Wissenschaft konnte durch Extremismus ohnehin nichts mehr verlieren, und die Handvoll Mitglieder, die aus Empörung über Walsh’ Taktik gegangen waren (um in erster Linie zur MR zu wechseln) wurden durch den Zustrom aus Gruppen wie Keltische Weisheit oder Das Licht Sachsens mehr als ausgeglichen – den nordeuropäischen Pendants zur PAKVF, die jedoch über größeren Einfluß verfügten.
Ich erinnerte mich an eine Szene, die ich in einer der Biographien Muteba Kazadis gefunden hatte. Als er in tadelndem Tonfall von einer BBC-Journalistin gefragt worden war, warum er einer Einladung zu einer traditionellen Fruchtbarkeitszeremonie der Lunda nicht gefolgt war, hatte er sie höflich aufgefordert, nach ihrer Heimkehr verschiedene Kabinettsminister mit der empörenden Tatsache zu konfrontieren, daß sie es versäumt hatten, die Sonnenwende in Stonehenge zu feiern. Zehn Jahre später gab es mindestens ein halbes Dutzend Parlamentarier, die dieser Verpflichtung regelmäßig nachkamen. Allerdings keine Minister der Regierung – bis jetzt.
Ich blieb in der Nähe der Theatergruppe, um mich dem Ratespiel »Welcher Klassiker wurde hier verstümmelt?« zu widmen. Schon nach einigen Zeilen in entstelltem Biotechnik-Jargon – nicht einzuordnen, aber irgendwie vertraut – sträubten sich mir die Nackenhaare. Sie hatten die Nachrichten über Landers und seine Viren aufgeschnappt und zu einer eigenen, hastig konzipierten Version der Geschichte verarbeitet. Viel schlimmer war jedoch, daß die meisten Beschreibungen der modifizierten Biochemie von Landers aus dem Kommentar zu Gepanschtes DNS stammten. Die Redakteure von SeeNet mußten das verworfene Segment der Dokumentation unverzüglich für Hintergrundinformationen ausgeschlachtet haben, als sie die Nachrichtensendung zusammenstellten.
Eigentlich hätte mich nichts davon überraschen dürfen, doch die Geschwindigkeit, mit der Ereignisse, die Tausende von Kilometern entfernt stattfanden, ohne Verzögerung zu einer Parabel recycelt worden waren, verstörte mich. Zu hören, wie meine eigenen Worte durch eine Rückkopplungsschleife als Echo zu mir zurückkehrten, grenzte ans Surreale.
Der Schauspieler in der Rolle eines FBI-Agenten, der Landers’ Computerdaten sicherstellen sollte, wandte sich an die Zuschauer (an alle drei) und verkündete: »Dieses Wissen könnte uns alle vernichten. Wir müssen den Blick abwenden!« Sein Kollege erwiderte betrübt: »Ja, aber dies ist nur der Wahnsinn eines einzelnen!
Dieselben heiligen Mysterien sind in zehn Millionen weiteren Maschinen niedergeschrieben! Solange nicht alle diese Daten ausgelöscht wurden… kann niemand von uns mehr ruhig schlafen!«
In meinem Kopf pochte es, und meine Kehle schnürte sich zusammen. Ich konnte nicht abstreiten, daß ich in tiefster Nacht in Verwirrung und Schmerz die gleichen Ansichten geteilt hatte.
Und jetzt?
Ich lief weiter. Ich durfte meine Zeit nicht mit Landers oder der MR verschwenden, denn es erwies schon als nahezu unmöglich, über Violet Mosala auf dem laufenden zu bleiben. Die gesamte Dokumentation verwandelte sich vor meinen Augen kontinuierlich in etwas Neues – und trotz der herrlichen Weltfremdheit ihrer Physik war Mosala in so viele politische Komplikationen verwickelt, daß ich allmählich den Überblick verlor.
Hatte Sarah Knight von Mosalas Plänen, nach Stateless zu emigrieren, gewußt? Wenn dem so war, dann mußte das Projekt für sie tausendmal reizvoller gewesen sein als irgendwelche Vereinbarungen mit den Anthrokosmologen. Hätte sie SeeNet diesen lukrativen Punkt verschwiegen? Möglicherweise, um es an ein anderes Network verkaufen zu können – doch dann stellte sich die Frage, warum sie nicht hergekommen war, um mich beiseite zu
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