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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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anders. Ned Landers war auf dem Cover zu sehen. In seinem Hals steckten Bolzen, und durch einen Escher-Effekt ragte seine Hand aus dem Bild hervor, mit der er sich selbst malte. Die Schlagzeile lautete: DER MYTHOS EINES SELFMADEMANNES. Das war zumindest etwas geistreicher als alles, was die Murdochs sich aus den Fingern saugen würden. Doch als ich den Artikel durchblätterte… fand ich keine Forderung nach der Überwachung oder Einschränkung des Zugangs zu menschlichen Genom-Daten, keine Diskussion der Weigerung Chinas und der USA, internationale Inspektionen ihrer Forschungseinrichtungen zur DNS-Synthese zuzulassen, und keinen praktischen Vorschlag, wie sich ein weiteres Chapel Hill vermeiden ließ. Außer dem Aufruf, sämtliche DNS-Daten des Menschen ›auszulöschen und zu verbieten‹ – was etwa so sinnvoll war wie eine Bitte an alle Menschen, sie möchten doch vergessen, daß die Erde eine Kugel war –, gab es nur das übliche Kult-Gefasel über die Gefahren der Beschäftigung mit fundamentalen Mysterien, über das ›menschliche Bedürfnis‹ nach einem unbegreiflichen Geheimnis und über die technische Vergewaltigung der kollektiven Seele.
    Wenn die Mystische Renaissance wirklich im Namen der ganzen Menschheit sprechen wollte, wenn sie die vernünftigen und sinnvollen Grenzen des Wissens definieren wollte und wenn sie die tiefsten Wahrheiten des Universums diktieren – oder zensieren – wollte, dann mußte sie sich wahrhaft mehr einfallen lassen.
    Ich schloß die Augen und lachte vor Erleichterung und Dankbarkeit. Nachdem es jetzt vorbei war, konnte ich es endlich zugeben, denn eine Weile hatte ich geglaubt, daß sie mich beinahe überzeugt hatten. Ich hatte gedacht, es würde nicht viel fehlen, bis ich auf Händen und Knien in ihr Rekrutierungszelt gekrochen kam, den Kopf in angemessener Demut gebeugt, während ich verkündete: »Ich war blind, doch jetzt sehe ich! Ich war psychisch gelähmt, doch jetzt stimmt mein Tuning! Ich war nur Yang und nicht Yin – ein Linkshirndenker, linear und hierarchisch orientiert – aber jetzt bin ich bereit, mich dem Alchimistischen Gleichgewicht zwischen Ratio und Mystik zu öffnen! Sprecht mich frei… und ich werde wieder gesund sein!«
     
    Die Adresse, die Kuwale mir gegeben hatte, war eine Bäckerei. Von importierten Luxusartikeln abgesehen bezog Stateless sämtliche Nahrung aus dem Meer, doch die Protein- und Stärkemoleküle, die am Rand der Riffe in den Knötchen des gentechnisch veränderten Tangs produziert wurden, waren völlig identisch mit denen jedes auf Feldern gewachsenen Getreidekorns, und dasselbe galt für den Duft des hergestellten Backwerks. Bei dem vertrauten Aroma wurde mir vor Hunger fast schwindlig, aber schon der Gedanke, auch nur einen Bissen frischen Brots zu verschlingen, verursachte mir sofortige Übelkeit. Ich hätte bereits zu diesem Zeitpunkt bemerken müssen, daß mit mir irgend etwas nicht stimmte – daß es nicht nur die Nachwirkungen des Fluges waren, der unterbrochene Melatonin-Schlaf, der Verlust Ginas oder meine Probleme, mich in einer Sackgasse zu orientieren, deren Ende ich nicht finden konnte. Aber da meine Pharmaeinheit nicht verfügbar war, um meine Krankheit offiziell zu bestätigen, und da ich den hiesigen Ärzten nicht traute, hatte ich keine Zeit, mich irgendwelchen Unpäßlichkeiten hinzugeben. Also redete ich mir ein, daß alles nur in meinem Kopf stattfand – und daß die einzige mögliche Therapie darin bestand, einfach alles zu ignorieren.
    Kuwale erschien ohne Clownskostüm – gerade noch rechtzeitig, um mich vor einer Ohnmacht oder einem unwiderstehlichen Brechreiz zu bewahren. Hie ging an mir vorbei, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, doch heine Nervosität war nahezu greifbar. Ich folgte ihm und begann mit der Aufzeichnung, während ich dem Drang widerstand, heinen Namen zu brüllen und die konspirative Geheimnistuerei zu zerstören.
    Ich legte einen Schritt zu, bis ich neben hie ging. »Was hat es mit dem ›AK-Zentrum‹ auf sich?« fragte ich.
    Kuwale warf mir einen nervösen und gereizten Seitenblick zu, aber er ließ sich nichtsdestoweniger zu einer Antwort herab. »Wir wissen nicht, wer die Schlüsselfigur ist. Wir glauben, daß wir es vielleicht niemals mit absoluter Gewißheit erfahren. Aber wir erweisen jedem Respekt, der als Kandidat in Frage kommt.«
    Das klang auf geradezu obszöne Weise moderat und vernünftig. »Respekt oder Verehrung?«
    Hie verdrehte die Augen. »Die

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