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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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dem es um eine Jacke ging, die er sich von Daniel geborgt hatte. Er würde für mindestens fünfzehn Jahre in einem normalen Gefängnis verschwinden.
    Die Prozeßaufnahmen waren öffentlich zugänglich, aber mir stand zu wenig Zeit zur Verfügung, um etwas daraus in der Sendefassung zu verwenden. Also schrieb ich eine kurze Nachbemerkung zur Wiederbelebungsgeschichte, in der ich die nackten Tatsachen auflistete: die Anklagepunkte und das Urteil. Das psychiatrische Gutachten erwähnte ich nicht, weil ich das Wasser nicht unnötig trüben wollte. Die Konsole sprach die Worte über einem Standbild des schreienden Daniel Cavolini.
    »Ausblenden und Credits durchlaufen lassen.«
    Es war Dienstag, der 23. März, 16.07 Uhr.
    Gepanschtes DNS war fertig.
     
    Ich hinterlegte eine Notiz für Gina im Korridor und ging zu Fuß nach Epping, um mich für die bevorstehende Reise impfen zu lassen. Die Wissenschaftler auf Stateless sendeten im Net regelmäßig ›Wetterberichte‹ – sowohl in meteorologischer als auch epidemologischer Hinsicht –, und allen sonstigen bizarren Maßnahmen zur politischen Ächtung zum Trotz behandelten die relevanten UN-Behörden diese Daten, als würden sie von einem sanktionierten Mitgliedsstaat kommen. Wie sich herausstellte, waren weder Grippe- noch Malaria-Impfungen angezeigt – doch es hatte in jüngster Zeit einige Epidemien neuer Adenovirus-Stämme gegeben, von denen zwar keiner lebensbedrohlich war, aber schwerwiegend genug werden konnte, um meinen Aufenthalt zu gefährden. Alice Tomasz, meine Hausärztin, programmierte die Sequenzen kleiner Peptide, die die entsprechenden Oberflächenproteine der Viren imitierten, synthetisierte ihre RNS und kombinierte die Fragmente dann zu einem künstlichen – und harmlosen – Adenovirus. Die gesamte Prozedur dauerte etwa zehn Minuten.
    Während ich den lebenden Impfstoff einatmete, sagte Alice: »Jenseits der Geschlechtskategorien hat mir gefallen.«
    »Danke.«
    »Aber diese Passage am Ende… als Elaine Ho über Geschlecht und Evolution spricht. Haben Sie es ihr wirklich geglaubt?«
    Ho hatte ausgeführt, daß die Menschen die letzten paar Millionen Jahre damit zugebracht hatten, den uralten Geschlechtsdimorphismus der Säugetiere und die Unterschiede im Verhalten wieder zurückzubilden. Wir hatten allmählich biochemische Eigenarten entwickelt, die mit den alten genetischen Programmen für geschlechtsspezifische Neuralkonstitutionen interferierten. Die unterschiedlichen Schablonen waren immer noch angeboren, doch hormonelle Effekte im Mutterleib hinderten sie daran, sich gänzlich auszuprägen. Im wesentlichen wurde das Gehirn jedes weiblichen Embryos ›maskulinisiert‹ und jedes männliche Gehirn ›feminisiert‹. (Die Homosexualität resultierte daraus, daß der Prozeß gelegentlich etwas weiter als gewöhnlich getrieben wurde.) Auf lange Sicht sah es so aus – selbst wenn wir den Standpunkt der Edeniten einnahmen und jede genetische Manipulation verweigerten –, daß die Geschlechter bereits konvergierten. Es kam überhaupt nicht darauf an, ob wir die Natur manipulierten oder nicht – die Natur manipulierte sich selbst.
    »Ich hatte den Eindruck, daß es ein guter Abschluß für die Sendung war. Und alles, was sie sagte, entsprach doch der Wahrheit.«
    Alice blieb unverbindlich. »Und woran arbeiten Sie zur Zeit?«
    Ich konnte mich nicht dazu überwinden, mich zu Gepanschtes DNS zu bekennen… aber es widerstrebte mir genauso, Violet Mosala zu erwähnen, falls meine Ärztin zufällig mehr über Mosalas Fortschritte in der UT, der Universellen Theorie, wie sie es nannte, wissen sollte als ich. Es war keine unbegründete Befürchtung, denn Alice war auf geradezu obszöne Weise in allen Bereichen belesen.
    »Eigentlich nichts«, sagte ich. »Ich mache Urlaub.«
    Sie warf wieder einen Blick auf den Bildschirm – der vermutlich auch die Daten meiner Pharmaeinheit anzeigte. »Gut für Sie. Aber entspannen Sie sich nicht zu sehr.«
    Ich kam mir vor wie ein Idiot, als sie mich bei einer so offensichtlichen Lüge erwischte, doch als ich das Behandlungszimmer verließ, spielte es kaum noch eineRolle. Die Straße war mit Blätterschatten gesprenkelt, die Brise aus dem Süden war sanft und kühl. Gepanschtes DNS war vorbei, und ich fühlte mich so unbeschwert, als wäre mir gerade nach einer tödlichen Krankheit eine Gnadenfrist gewährt worden. Epping war ein ruhiges Vorstadtzentrum. Es gab einen Arzt, einen Zahnarzt, einen kleinen Supermarkt,

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