Qual
die Zukunft völlig vorhersagbar machen? Wird eine Theorie für Alles den Schlüssel für alle ungelösten Probleme der Physik und Chemie liefern? Auch der Biologie und Medizin… und der Ethik und Religion?
Mosala ging geduldig und ausführlich auf alle Fragen ein. »Eine Universal-Theorie ist nicht mehr als die einfachste mathematische Formulierung, die sämtliche Ordnungsprinzipien des Universums einschließt. Falls eine dieser vorgeschlagenen Theorien für Alles irgendwann die theoretischen und experimentellen Überprüfungen übersteht, könnten wir allmählich die Zuversicht entwickeln, daß sie eine Art Körnchen Wahrheit darstellt – mit dem wir dann prinzipiell und im höchst idealisierten Sinne alles um uns herum erklären können.
Aber das würde nicht bedeuten, daß plötzlich alles ›komplett vorhersagbar‹ wird. Das Universum ist voller Systeme, die wir vollständig verstehen – zum Beispiel die Umlaufbahnen zweier Planeten um einen Stern – in denen die Mathematik jedoch so chaotisch oder komplex ist, daß die Berechnung einer langfristigen Vorhersage für immer unmöglich bleiben wird.
Und es würde auch nicht ein ›Ende der Wissenschaft‹ bedeuten. Die Wissenschaft ist viel mehr als die Suche nach einer Universal-Theorie, sie ist die Aufklärung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Ordnungen im Universum. Wer nach den Fundamenten gräbt, stößt nicht an die Decke. Es gibt zahlreiche Probleme der Flüssigkeitsdynamik – ganz zu schweigen von der Neurobiologie –, für die neue Ansätze oder bessere Annäherungen entwickelt werden müssen und keineswegs eine endgültige, präzise Beschreibung der Materie auf dem subatomaren Niveau.«
Ich stellte mir Gina an ihrem Arbeitsplatz vor. Und ich stellte sie mir in ihrer neuen Wohnung vor, wie sie ihrem neuen Liebhaber von all ihren Problemen und kleinen Triumphen erzählte. Ich hatte für einen Moment Gleichgewichtsstörungen, aber der Moment ging vorbei.
»Lowell Parker von Atlantica. – Professor Mosala, Sie sagen die UT sei die ›einfachste mathematische Formulierung sämtlicher Ordnungsprinzipien des Universums‹. Aber sind nicht alle diese Begriffe kulturell determiniert? ›Einfachheit‹? ›Ordnung‹? Ebenso wie die gesamte Begrifflichkeit der zeitgenössischen Mathematik?« Parker war ein seriös wirkender junger Mann mit Bostoner Akzent, und Atlantica war ein intellektuelles Netzine, das hauptsächlich von Teilzeit-Akademikern aus den Universitäten an der Ostküste produziert wurde.
»Gewiß«, erwiderte Mosala. »Und die Gleichungen, die wir irgendwann als Universal-Theorie bezeichnen, werden keineswegs einzigartig sein. Sie werden genauso wie… sagen wir, Maxwells Gleichungen zum Elektromagnetismus sein. Es gibt mindestens ein halbes Dutzend gleichwertiger Methoden, wie sich Maxwells Gleichungen formulieren lassen. Die Konstanten können hin und her verschoben werden, man kann unterschiedliche Variablen einsetzen… sie lassen sich sogar in drei oder vier Dimensionen ausdrücken. Die Physiker und die Ingenieure sind sich immer noch nicht einig, welche Formulierung die einfachste ist – weil das letztlich davon abhängt, wozu man sie benutzen will. Ob für die Konstruktion einer Radarantenne, für die Berechnung des Verhaltens des Sonnenwindes oder zur Beschreibung der Geschichte der Vereinigung von Elektrostatik und Magnetismus. Doch sie alle ergeben letztlich dieselben Resultate, unabhängig vom Rechenweg, weil sie alle dasselbe beschreiben, nämlich das grundlegende Phänomen des Elektromagnetismus.«
Parker sagte: »Das gleiche wird häufig auch von den Weltreligionen behauptet. Alle formulieren letztlich dieselben elementaren, universellen Wahrheiten – nur auf unterschiedliche Art, angepaßt an verschiedene Zeiten und Kulturkreise. Würden Sie zustimmen, daß das, was Sie tun, im wesentlichen in derselben Tradition steht?«
»Nein. Ich glaube nicht, daß dem so ist.«
»Aber Sie haben eingestanden, daß kulturelle Faktoren darüber entscheiden, welche UT wir akzeptieren werden. Wie können Sie also behaupten, daß das, was Sie tun, ›objektiver‹ sei als die Religion?«
Mosala zögerte, bevor sie antwortete. »Nehmen wir einmal an, morgen würde jedes menschliche Wesen auf diesem Planeten ausgelöscht werden, und wir würden mehrere Millionen Jahre warten, bis sich die nächste Spezies mit einer religiösen und wissenschaftlichen Kultur entwickelt. Was glauben Sie, würden diese neuen Religionen mit den
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