Qual
entmündigen, die sie ›repräsentierten‹ – genauso wirksam wie Sexisten, die behaupteten, im Namen ihres Geschlechts zu sprechen. Eine Handvoll Menschen, die angeblich für vierzig Millionen – oder fünf Milliarden – sprach, übte immer unverhältnismäßig große Macht aus, einfach indem sie diese Behauptung aufstellte.
Was war also die Lösung? Nach Stateless auswandern? Asexuell werden? Oder sollte man einfach nur seinen Kopf in einen balkanisierten Winkel des Net stecken und sich einreden, daß all das gar keine Rolle spielte?
»Ich hätte gedacht, wer von Sydney losfliegt, muß einfach überzeugt sein, daß es besser ist, endlich zu verschwinden. Der anschauliche Beweis für die Absurdität der Nationen.«
Ich lachte trocken. »Beinahe. Sich kleinlich und rachsüchtig gegenüber den Osttimoresen zu verhalten ist verständlich. Wenn man sich all die Jahre lang die Finger für einen Geschäftsparter schmutzig gemacht hat und dann erleben muß, wie plötzlich der Spieß umgedreht wird… Ich habe jedoch keine Ahnung, weshalb Stateless so ein Problem ist. Von den EnGeneUity-Patenten war doch keins in australischem Besitz, oder?«
»Nein.«
»Worum geht es also? Selbst Washington würde sich niemals solche Mühe geben, Stateless deswegen so… umfassend zu bestrafen.«
»Ich hätte da eine Theorie«, sagte Munroe.
»Ja?«
»Denken Sie doch einmal nach! Wie lautet die größte Lüge, die die politisch und kulturell herrschende Klasse sich selbst einredet? Auf welche Eigenschaften ist jeder Professionelle Australier, der etwas auf sich hält, am stolzesten – obwohl er sie gar nicht besitzt?«
»Wenn das ein billiger Freudscher Witz sein soll, werde ich zutiefst enttäuscht sein.«
»Mißtrauen gegenüber der Staatsgewalt. Die Unabhängigkeit des Geistes. Die Nonkonformität. Deshalb gibt es für sie nichts Bedrohlicheres als eine Insel voller Anarchisten.«
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13
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Vom Bahnhof aus gingen wir nach Norden über eine grau-grün marmorierte Ebene, die stellenweise noch die Abdrücke verzweigter Röhrenstummel aufwies – über zehn Jahre alte Korallen, die noch nicht vollständig verdaut waren. Wenn man die Zeitmaßstäbe kannte, war der Anblick auf seltsame Weise schockierend. Es war, als würde man über Fossilien stolpern, die eindeutig den Vierzigern zuzuordnen – klobige Notepads der vorigen Generation, originelle Schuhmodelle, die seinerzeit Alpha-Mode gewesen waren – und die jetzt nur noch als mineralisierte Umrisse vorhanden waren. Ich glaubte zu spüren, wie der Fels mehr unter meinen Füßen nachgab als das feste, nachbehandelte Pflaster der Stadt, aber wir hinterließen keine sichtbaren Abdrücke. Ich blieb stehen und hockte mich hin, um den Boden zu berühren und festzustellen, ob er sich feucht anfühlte. Er war nicht feucht, aber möglicherweise gab es unter der Oberfläche eine Plastikschicht, die die Verdunstung verhindern sollte.
In der Ferne hatte sich eine Gruppe aus etwa zwanzig Menschen um ein sieben Meter breites Portal versammelt, neben dem eine große Motorwinde stand. Außerdem war ein kleiner grüner Bus mit großen Ballonreifen zu sehen. Am Portal waren mehrere hellorangefarbene Markisen befestigt, die in der Brise knatterten. Orangefarbene Kabel führten von der Winde zu einem Flaschenzug, der am Portal hing, und von dort nach unten, vermutlich in ein Loch im Boden verlief, das durch den Kreis der Zuschauer verdeckt wurde.
»Man versenkt sie in eine Art Wartungsschacht?« sagte ich.
»Richtig.«
»Ein reizende Sitte. Willkommen auf Stateless, müder und hungriger Reisender. Besuchen Sie unsere Kanalisation!«
Munroe schnaufte. »Falsch.«
Als wir näher kamen, sah ich, daß alle Anwesenden in das Loch unter dem Portal starrten. Ein paar Leute Nickten sich flüchtig zu uns um, und eine Frau hob zögernd die Hand zum Gruß. Ich erwiderte die Geste, worauf sie nervös lächelte und sich dann wieder dem verborgenen Einstieg zuwandte.
Ich flüsterte (obwohl wir kaum in Hörweite waren): »Hier sieht es aus wie bei einem Grubenunglück. Als würden sie darauf warten, die Leichen zu identifizieren, die an die Oberfläche geholt werden.«
»Die Stimmung ist jedesmal sehr angespannt. Haben Sie Geduld.«
Aus der Ferne hatte ich gedacht, daß die Leute nur zufällige Freizeitkleidung trugen, doch aus der Nähe war zu erkennen, daß sie alle irgendwelche Badesachen angelegt hatten, einige außerdem T-Shirts. Ich erkannte ein paar Tauchanzüge mit kurzen
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