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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Identitäten waren.
    Ich sagte vorsichtig: »Es dürfte wenig nützen, wenn ich Ihnen bedingungslose Geheimhaltung schwöre. Aber ich werde versuchen, Ihre Wünsche zu respektieren.«
    Damit schien Conroy sich zufriedenzugeben. Vielleicht hatte sie vorher alle Möglichkeiten gegeneinander abgewogen und entschieden, daß ein kurzes informatives Gespräch das kleinere Übel wäre, auch wenn sie mir keine Garantien abverlangen konnte.
    »Die Anthrokosmologie ist im Grunde nicht mehr als die moderne Form einer uralten Idee«, erklärte sie. »Ich würde Ihnen nur kostbare Zeit stehlen, wenn ich auflisten sollte, was wir mit den verschiedenen Philosophen der griechischen Klassik, des frühen Islam, des siebzehnten Jahrhunderts in Frankreich oder des achtzehnten Jahrhunderts in Deutschland gemeinsam haben und worin wir uns von ihnen unterscheiden. Sie können diese geschichtlichen Hintergründe selbst aufarbeiten, wenn es Sie wirklich interessiert. Ich werde mit einem Mann beginnen, von dem Sie sicherlich schon gehört haben: einem Physiker des zwanzigsten Jahrhunderts namens John Wheeler.« Ich nickte, obwohl ich mich im Augenblick nur daran erinnern konnte, daß er eine entscheidende Rolle für die Theorie der Schwarzen Löcher gespielt hatte.
    »Wheeler war ein glühender Verfechter der Idee eines partizipatorischen Universums«, erzählte Conroy weiter. »Eines Universums, das von seinen Bewohnern gestaltet wird, indem sie es beobachten und erklären. Er hatte eine schöne Metapher für seine Idee entwickelt… Sie kennen bestimmt das alte Spiel der zwanzig Fragen: Eine Person denkt sich einen Gegenstand, und die andere stellt Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden, um auf diese Weise den Gegenstand zu erraten.
    Doch es gibt noch eine andere Methode, wie man dieses Spiel durchführen kann. Indem man sich nämlich für gar keinen bestimmten Gegenstand entscheidet. Man gibt die Ja- oder Nein-Antworten mehr oder weniger zufällig – wobei die einzige Einschränkung darin besteht, keine Widersprüche zum bisher Gesagten aufkommen zu lassen. Wenn man gesagt hat, die Sache sei blau, kann man später nicht plötzlich behaupten, sie sei rot – selbst wenn man gar keine konkrete Vorstellung davon hat, was diese Sache eigentlich darstellen soll. Doch je mehr Fragen gestellt werden, desto enger wird die Auswahl der Möglichkeiten.
    Wheeler behauptete nun, daß sich das Universum genau wie dieses unbestimmte Objekt verhalten würde.
    Es nimmt erst durch einen ähnlichen Prozeß der Fragestellung eine spezifischere Gestalt an. Wir machen Beobachtungen, wir führen Experimente durch – kurz: wir stellen Fragen an das Universum, nach dem Unbekannten. Wir erhalten Antworten, von denen einige völlig willkürlich sind – aber es kommt dabei nie zu totalen Widersprüchen. Und je mehr Fragen wir stellen, desto deutlicher nimmt das Universum Gestalt an.«
    »Sie meinen… so etwas wie Messungen an mikroskopisch kleinen Objekten?« sagte ich. »Gewisse Eigenschaften von subatomaren Partikeln existieren gar nicht, bevor sie gemessen wurden? Und das Ergebnis der Messung enthält eine zufällige Komponente, aber wenn Sie das Objekt ein zweites Mal messen, erhalten Sie trotzdem dasselbe Resultat?« Das waren uralte Probleme, die längst etabliert und erledigt waren. »Das war es sicher, was Wheeler gemeint hat.«
    Conroy pflichtete mir bei. »Das ist das definitive Beispiel. Welches natürlich auf Niels Bohr zurückgeht, unter dem Wheeler in den 1930ern in Kopenhagen studiert hatte. Die Quantenmechanik stellte zweifellos die Inspirationsquelle für das gesamte Modell dar. Doch Wheeler und seine Nachfolger gingen noch viel weiter.
    In der Quantenmechanik geht es um die Messung individueller, mikroskopischer Ereignisse, die stattfinden oder nicht stattfinden – zufällig, aber mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, die durch vorgegebene Gesetze bestimmt wird. Es geht um… Kopf oder Zahl, aber nicht um die Form der Münze oder die statistische Wahrscheinlichkeit, wenn sie immer wieder geworfen wird. Es ist leicht zu verstehen, daß eine Münze weder ›Kopf‹ noch ›Zahl‹ ist, solange sie in der Luft rotiert – aber wie sieht es aus, wenn es vorher nicht einmal eine bestimmte Münze ist? Was ist, wenn es gar keine vorgegebenen Gesetze gibt, die das System regeln, das man messen will… genausowenig wie es vorgegebene Antworten auf diese Fragen und Messungen gibt?«
    »Sagen Sie es mir«, erwiderte ich matt. Ich hatte mich

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